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Gefaehrliches Schweigen

Gefaehrliches Schweigen

Titel: Gefaehrliches Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ritta Jacobsson
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gegangen?“
    „Wie ist sie überhaupt da raufgekommen?“
    Die ganze Klasse feuerte Fragen ab, die Bergman unmöglich beantworten konnte. Er versuchte es nicht einmal, sondern stürzte sofort hinaus, die ganze Klasse wie ein Schwanz hinterher.
    Ein Strom von Schülern ergoss sich aus dem Schulgebäude. Das Gerücht hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Eine aus der Achten hatte einen Hirninfarkt gekriegt und war aufs Dach der Turnhalle geklettert.
    Super Unterhaltung! Fast wie im Fernsehen.
    Ich drehte mich um und hielt nach weiteren Lehrern Ausschau. Bergman stand ja bloß da und sperrte die Augen auf, genau wie wir Schüler. Irgendjemand müsste sich aufs Dach hinauftrauen und Natalie zum Runterkommen überreden. Ich habe zwar keine Höhenangst, aber die Vorstellung, auf ein glitschiges Dach zu klettern, war nicht unbedingt verlockend.
    Plötzlich löste sich Elias aus der Gruppe der Neuntklässler. Er lief auf die Metalltreppe zu, die an der Wand der Turnhalle nach oben führte. Gleichzeitig kam Bjarne Lund aus dem Hauptgebäude gerannt. Jo und ich standen zu weit weg, wir konnten nicht hören, was sie sagten, aber aus ihren Gesten schloss ich, dass sie irgendwie gemeinsam versuchen wollten, Natalie herunterzuholen.
    „Stell dir vor, sie fällt runter!“, wimmerte Jo.
    Ich nickte stumm und weigerte mich hinzuschauen. Dennoch blieb ich stehen. Genau wie all die andern. Wie Geier.
    Natalie balancierte auf dem Dach und schaute zu den dunklen Wolken hinauf, die über den Himmel zogen. Solange sie nicht nach unten sah, konnte sie sich einbilden, sie stünde auf dem Boden, die Füße fest im weißen, frisch gefallenen Schnee verankert, anstatt auf dem rutschigen Dach der Turnhalle.
    Sie holte ein paar Mal tief Luft und trat näher an die Kante heran. Bereits nach wenigen Treppenstufen hatten ihre Eingeweide rebelliert, aber sie war dennoch weiter nach oben gestiegen.
    Sie hatte keine andere Wahl.
    Seltsam. Ihr ganzes Leben lang hatte sie geglaubt, es genüge, brav und fleißig zu sein. Das alles hatte sich mit einem Schlag verändert. Ein einziges Gespräch – sie alleine gegen eine große Gruppe –, und ihr ganzes Leben war zerstört.
    Sie fürchtete sich davor, auszurutschen oder vor Angst ohnmächtig zu werden und dann runterzufallen.
    Dann würde sie sterben.
    Aus dem Augenwinkel sah sie die Schüler unterhalb des Gebäudes, wie sie sich zu Grüppchen versammelten und nach oben spähten.
    Ihre Quälgeister waren auch da. Sie sah ihre höhnisch lächelnden Gesichter und hätte am liebsten laut herausgeschrien, wer schuld daran sei, dass sie auf einem eisglatten Dach balancierte und vor Kälte und Angst am ganzen Leib zitterte.
    Viele Schüler sahen erschrocken aus. Aber manche waren dabei, die sich zu wünschen schienen, dass sie fiel. Vielleicht würden sie dann den restlichen Tag freibekommen. Es würde eine Weile dauern, bis der Schulhof gesäubert wäre.
    A ber ihr Tod würde das Leben in der Schule nicht verändern. Bereits nach einer Woche hätten alle sie vergessen.
    Sie stand hier auf dem Dach, genau wie ihr befohlen worden war. Selbstverachtung vermischte sich mit Angst. Es war ein teuflischer Plan.
    Sie hörte, wie jemand zu ihr nach oben kam und mit beruhigender Stimme auf sie einredete. Es war Bjarne Lund.
    Schon wollten die Tränen hochsteigen, aber sie wischte sie schnell weg. Nur nicht zusammenbrechen. Sie musste durchhalten. Und schweigen.
    Natalie war von Elias und Bjarne Lund heruntergebracht worden. Ruhe und Langweile waren wieder eingekehrt.
    Nach außen hin.
    Aber in den Schulkorridoren summte es. Bjarne Lund und Elias wurden als die Helden des Tages gefeiert, man klopfte ihnen immer wieder herzlich auf die Schultern.
    Ich empfand eine nagende Unruhe. Ein Mädchen wie Natalie kletterte nicht ohne Grund auf das Dach der Turnhalle. Was hatte sie dort vorgehabt? War sie wirklich so unglücklich in Elias verliebt, dass sie einfach alles tat, um seine Aufmerksamkeit zu erregen?
    Die Mädchen in meiner Klasse konnten Elias heldenhaften Einsatz nicht genug rühmen. Seltsamerweise hielt Hannamaria den Mund. Aber vielleicht war sie ja eifersüchtig.
    Wirklich?
    Auf die blasse Natalie?
    Simon, der mich wie die Pest gemieden hatte, setzte sich überraschenderweise hinter mich, als wir zur letzten Stunde ins Klassenzimmer gingen. Ich hielt das für ein Zeichen, dass er mit mir reden wollte, aber er sagte nichts.
    Lundström legte los. Aus unerfindlichen Gründen hielt er es für sinnvoll, uns den

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