Gefaehrliches Schweigen
Lektion erteilt bekommen, die uns einbläute, die Klappe zu halten.
Irgendwie gelang es mir, den Vorfall einigermaßen zu verdrängen. Ich hatte ja noch andere Probleme.
Paulina.
Am Morgen wand ich mich wieder in die superengen Jeans hinein und föhnte die Haare mit so viel Haarfestiger, dass sie wie eine Mähne um meinen Kopf herum abstanden. Diesmal ließ ich die Steppjacke hängen und wählte stattdessen die kurze Jeansjacke, auf eine Mütze verzichtete ich.
Als Linus mich draußen vor dem Haus begrüßte und wir zusammen zur Bushaltestelle gingen, blies der Wind eisig kalt. Die Kälte drang mir unter den Kragen, kroch an den Hosenbeinen hoch und in die Ärmel hinein.
Linus sah mich im Gehen mit seinen warmen braunen Augen an. Allerdings nicht voller Bewunderung, wie ich gehofft hatte.
„Du siehst krank aus“, stellte er fest.
Jetzt bloß nicht heulen, sagte ich mir. Ehrlich gesagt fühlte ich mich wirklich krank. Die Jeans presste meinen Magen unerbittlich zusammen, es war ein Wunder, dass ich Linus nicht auf die Füße kotzte.
„Hab schlecht geschlafen“, murmelte ich zwischen klappernden Zähnen hervor.
„Ich auch“, sagte er leise.
Die Glaswände des Wartehäuschens boten keinen Schutz, aber der Bus kam schon nach ein paar Minuten. Fröstelnd beeilte ich mich, vor Linus hineinzukommen.
Das Erste, was ich erblickte, war Paulina.
Sie saß neben Jo, stand aber sofort auf.
„Ihr wollt bestimmt nebeneinandersitzen?“, zwitscherte sie, lächelte anmutig und zeigte ihre perfekten Zähne.
Da konnte ich nicht widersprechen. Jo wäre sauer geworden. Also setzte ich mich neben sie.
Und Paulina setzte sich zu Linus. Schon nach kurzer Zeit begannen sie zu lachen. Du lieber Himmel, war das ein Getue! Was gab’s denn da zu lachen?
Ich konnte nur noch an die beiden denken. Nebeneinander.
„Oh Mann!“, stöhnte Jo. „Da könnte ich ja genauso gut Vokabeln lernen! Du hörst ja gar nicht zu.“
Und ob ich zuhörte. Ich hörte Paulina und Linus zu. Ich hörte sein wundervolles Lachen, das von Herzen kam, und ich hörte ihr affektiertes, schrilles Kichern. Wenn ich ein so abscheuliches Lachen hätte, würde ich mich zu Tode schämen.
Wir stiegen an der Haltestelle aus, die gestern Abend vor meinen Augen demoliert worden war.
„Sorry, ich musste an was anderes denken. Ich war gestern hier.“
Ich deutete mit einer Geste auf das zerstörte Wartehäuschen, und während wir auf die Schule zugingen, erzählte ich ihr, was vorgefallen war.
„In deinem Leben passiert ein bisschen zu viel, finde ich“, sagte Jo.
Ich nickte und schob die Eingangstür der Schule auf. Wir traten in den warmen Korridor.
„Du musst eben …“
Ich erfuhr nie, was sie hatte vorschlagen wollen, denn als wir in den Korridor kamen, lehnten dort Jimmy, Stoffe und zwei andere Jungs aus der Neunten an der Wand. Fast als hätten sie auf uns gewartet, begannen sie zu viert nebeneinander auf uns zuzugehen. Sie füllten den ganzen Korridor aus.
Jo schlüpfte hinter mich. Ich dachte, die werden uns bestimmt Platz machen, wurde aber immer zittriger, je näher die menschliche Mauer kam.
Keiner von ihnen sah mich an. Ihre Augen waren leer und kalt, wie die Augen toter Fische. Doch das beruhigte mich kein bisschen. Mein Herz schlug schneller und meine Beine fühlten sich an wie Gelee.
Genau in dem Moment, als sie an uns vorbeigingen, machte Stoffe einen Schritt zur Seite. Er holte tief Luft und rempelte mich mit aller Kraft an. Ich wurde heftig an die Wand geschleudert. Mein Rucksack flog durch die Luft und ich selbst plumpste in den kiesvermischten Schmeematsch auf dem rutschigen Fußboden.
Mohammed aus unserer Klasse kam mit Alexander und Saga angestürzt. Sie scharten sich um mich und halfen mir hoch.
„Diese Idioten halten sich wohl für die Obercoolen!“
„Alle haben denen gefälligst Platz zu machen!“
„Ist dir was passiert?“
„Tut es weh?“
Ich richtete mich langsam auf. Meine eine Schulter schmerzte ganz abscheulich, aber immerhin konnte ich den Arm bewegen.
Unsere drei Klassenkameraden gingen weiter. Jo bückte sich und sammelte die Bücher und Papiere ein, die aus dem Rucksack gefallen waren. Während ich mich abbürstete, entdeckte ich ein großes Loch überm Knie im einen Hosenbein.
„Das haben die mit Absicht getan“, bemerkte Jo. „Lass diese Typen lieber in Ruhe.“
„Mhm“, versprach ich.
Aber wir wussten beide, dass ich mein Versprechen nicht würde halten können.
FREITAG
Obwohl ich die
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