Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefaehrliches Schweigen

Gefaehrliches Schweigen

Titel: Gefaehrliches Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ritta Jacobsson
Vom Netzwerk:
verfolgte aber die Machenschaften der Bande aus einigem Abstand.
    Der Zwanzigjährige sprang mit einem Satz aus dem Häuschen.
    „Hört mit dem Blödsinn auf!“
    Die Jungs hielten inne, verblüfft, dass jemand zu protestieren wagte.
    „Kann dir doch scheißegal sein!“
    Der Zwanzigjährige rückte seine Brille zurecht.
    „Bushaltestellen werden unter anderem auch mit meinen Steuergeldern finanziert“, sagte er in einem Versuch, pädagogisch zu sein.
    Das Interesse der Jungs an dem Bushäuschen verpuffte schlagartig, stattdessen rückten sie aus mehreren Richtungen auf den jungen Mann zu.
    „Mann, hast du eine affenhässliche Visage!“
    „He, Leute, schon mal so eine bescheuerte Brille gesehen?“
    Sie schrien, er sei ein Feigling, und warfen ihm immer gröbere Beschimpfungen an den Kopf, während sie sich knuffend und stoßend um ihn drängten und sich gegenseitig aufhetzten.
    Der erste Schlag klatschte ihm ins Gesicht. Er stöhnte laut auf. Schon im nächsten Moment war er übermannt. Sie schlugen abwechselnd von links und rechts auf ihn ein, einer trat von hinten nach ihm, ein anderer von vorn. Seine Brille fiel auf den Boden und wurde sofort zertrampelt.
    Jimmy, Simon und Stoffe standen in einiger Entfernung und sahen zu.
    Genau wie das alte Paar.
    Und Linus und ich. Wenigstens ein paar Sekunden lang. Dann wurde es unerträglich.
    „Ich kann nicht bloß hier stehen und zuschauen!“
    Ich trat einen Schritt vor, aber Linus packte mich sofort am Arm und versuchte mich aufzuhalten. Ich riss mich los.
    Während ich auf die Straße zulief, hörte ich ein willkommenes Geräusch, ein kräftiger Dieselmotor, der sich aus der Ferne näherte. Hinter der Kurve rollte ein roter Bus heran. Die Scheinwerfer warfen zwei große Lichtkegel Kegel auf den Asphalt. Der Bus blinkte nach rechts und bremste mit schwachem Knirschen. In der Dunkelheit schien das erleuchtete Vorderteil in der Luft zu schweben.
    Plötzlich erblickte der Fahrer die bedrohliche Bande. Schreck spiegelte sich in seinem Gesicht. Er wandte sich schnell ab, drehte am Lenkrad und gab Gas. In den erleuchteten Fenstern drängten sich Leute, erschrocken, erstaunt, aber auch verärgert. Bestimmt hatten einige ausgerechnet hier aussteigen wollen.
    Den jungen Mann verließen die Kräfte. Er sackte zusammen.
    Simon rannte zu ihm hin und beugte sich über ihn. Schnell zog ich mein Handy heraus und fotografierte ihn. Als er zu Jimmy und Stoffe zurücklief, gelang mir noch eine Aufnahme. Dann verschwanden sie.
    Doch das war jetzt nicht wichtig. Der misshandelte junge Mann brauchte Hilfe.
    Ich wollte schon den Polizeinotruf wählen, als ich sah, dass Linus in sein Handy sprach.
    „Hast du die Polizei angerufen?“, flüsterte ich.
    Er antwortete nicht. Ich wollte meine Frage gerade wiederholen, als ich das Martinshorn heulen hörte. Der Ton kam rasch näher.
    Ein blau-weißer Wagen bog um die Kurve. Ich winkte heftig mit den Armen. Das Auto machte mit quietschenden Reifen neben mir eine Vollbremsung und eine junge Polizistin sprang heraus. Sie trug eine Lederjacke, die bei jeder Bewegung knarrte. Unter der Uniformmütze hing ein langer blonder Zopf hervor. Bei ihrem Anblick sah ich ganz kurz meine eigene Zukunft.
    Nach ihr stieg ein älterer Polizist aus.
    Sie bückten sich über den jungen Mann, der inzwischen wieder zu sich gekommen war, sich aber mit schmerzverzerrtem Gesicht darüber beklagte, dass man ihm Handy und Brieftasche gestohlen hatte.
    Sie halfen ihm auf die Beine und stützten ihn auf dem Weg zum Auto von beiden Seiten.
    Nur noch Linus und ich standen an der Haltestelle. Alle anderen waren verschwunden. Sogar das alte Paar.
    Die Polizistin kam gleich zurück.
    „Habt ihr gesehen, was passiert ist?“, wollte sie wissen.
    Ich beschrieb, wie die Bande das Wartehäuschen mit Fußtritten bearbeitet hatte und über den jungen Mann mit der Brille hergefallen war.
    „Wie sahen sie aus?“, fragte die Polizistin an Linus gewandt.
    „Es ist ja dunkel. Aber sie waren jünger als wir, vielleicht aus der Sechsten.“
    Ich bereute, dass ich nicht daran gedacht hatte, auch die Horde zu fotografieren.
    „Aber was ist mit Jimmy“, begann ich. „Und …“
    „Die haben davon nichts gesehen“, wandte Linus ein.
    „Stimmt nicht, die waren doch …“
    „Das hast du falsch gesehen!“
    Linus und ich starrten einander an. Ich verstand nicht, worauf er hinauswollte. Jimmy, Stoffe und Simon hatten genauso viel gesehen wie wir.
    Die Polizistin ging nicht auf

Weitere Kostenlose Bücher