Gefährliches Spiel
schon zwei Wochen zuvor unter die Erde gebracht.
Also war sie fest entschlossen, dass sie Nick zur Seite stehen würde, auf die einzige Weise, auf die sie es konnte. Wenn seine Seele noch irgendwo in der Nähe seines zerstörten, verbrannten Körpers war, würde sie wissen, dass sie ihm beigestanden hatte, egal, was es sie selbst kostete.
Sie bedauerte es nicht, kein einziges Mal, auch wenn sie wusste, dass das, was sie gesehen hatte, sie für immer durch ihre Albträume begleiten würde. Und bis zum Ende ihrer Tage, selbst auf ihrem Totenbett, würde sie diesen schrecklichen Geruch verkohlter Knochen und verbrannten Fleischs nicht wieder vergessen.
Ihr Magen verkrampfte sich erneut, und sie schluckte heftig.
Das Auto kam vor ihrem Haus zum Stehen. Sie hatte Besuch. Ihr Herz schlug langsam und schwer in ihrer Brust.
Wer auch immer da kam, er war hier nicht willkommen.
In dem vergeblichen Versuch, ihre unerträglich tiefe Trauer zu bekämpfen, hatte sie die Wohnzimmerlampen angeschaltet. Unglücklicherweise konnte man sie von der Straße aus sehen. Sie konnte also nicht einmal vorgeben, dass niemand zu Hause war, so wie sie es die letzten drei Tage getan hatte.
Ihr Wohnzimmerfenster bildete einen perfekten Rahmen für die große schwarze Limousine, die am Straßenrand parkte. Sie konnte alles ganz genau sehen. Der in eine elegante schwarze Uniform gekleidete Fahrer ging um das Auto herum, öffnete die hintere Tür und hielt dem aussteigenden Mann eine Hand hin. Das von tiefen Falten durchzogene Gesicht des Mannes war auf harte Weise attraktiv. Ein teurer Borsalino bedeckte seine ergrauenden blonden Haare. Er war passend für die Kälte gekleidet – ein schwerer Mantel in Mitternachtsblau und dicke Lederhandschuhe, die seine, wie sie wusste, vernarbten Hände verbargen. Eine Hand hielt einen Gehstock aus Ebenholz mit einem polierten Elfenbeinkopf.
Er hinkte langsam den Weg zu ihrer Tür hinauf, wobei er sich schwer auf den Arm seines Fahrers stützte, der in der anderen Hand eine große schwarze Kiste trug.
Wassily.
Er war in der eisigen Kälte gekommen, nur um sie zu sehen.
Charity verzog das Gesicht. Dass Wassily an einem kalten Tag das Haus verließ, war etwas Besonderes. Etwas ganz Besonderes sogar. Er machte kein Geheimnis aus der Tatsache, dass er die Kälte hasste und sich nur, wenn es absolut notwendig war, im Winter nach draußen begab. Wenn man ihm zusah, wie er langsam und schwerfällig den Weg zu ihr bewältigte, wurde schmerzhaft deutlich, dass ihm dies einiges abverlangte.
Es war eine große Geste. Charity wusste, dass sie dankbar sein, sich sogar geschmeichelt fühlen sollte. Dies war etwas, was Wassily nur für sehr wenige Menschen auf der Welt tun würde. Vielleicht war sie sogar die einzige Person, für die er es auf sich nehmen würde. Aber wenn sie auch gerührt war, so war sie doch nicht in der Verfassung, ihn zu empfangen.
Sie wollte in Ruhe gelassen und nicht gezwungen werden, ihr zersplittertes, trauerndes Selbst genug zusammenzureißen, um Konversation machen zu können. Es war unmöglich, sich zu unterhalten, ihr fehlte die Energie, um sich mit irgendjemandem zu befassen.
Aber sie würde es tun müssen. Wassily war ein alter Mann. Oder wenn schon nicht alt, so doch viel älter als sie. Er war ein bedeutender Mann, der eine große Tragödie durchlebt hatte, und er nahm die Mühe auf sich, zu ihr zu kommen und ihr in der Stunde ihrer eigenen Tragödie seinen Trost anzubieten.
Auf jeder denkbaren Skala des Schmerzes übertraf Wassilys Leid ihr eigenes um ein Vielfaches. Er war durch die Hölle gegangen und das fünf endlose Jahre lang. Er hatte nicht nur geliebte Menschen verloren, sondern er war verletzt und gefoltert worden, bei unmenschlichen Temperaturen zur Arbeit in den Minen gezwungen, ausgepeitscht und geschlagen worden.
Nein, im Vergleich war ihr Leid nur armselig. Scham festigte ihr Rückgrat. Irgendwie musste sie für die nächste halbe Stunde oder Stunde, oder wie lange Wassily bleiben wollte, den Weg herausfinden aus dem rutschigen, mörderischen, tiefen, dunklen Schacht der Trauer, in den sie gefallen war. Sie musste ihre Trauer nehmen und sie zusammenpacken, sie irgendwo verstecken, nur lange genug, um während seines Besuchs zu funktionieren.
Hinterher, wenn er wieder gegangen und sie allein war, konnte sie ihre Trauer wieder freigeben und zu monströser Größe anschwellen lassen, bis sie wie in den letzten drei Tagen jede einzelne Zelle ihres Körpers und
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