Gefährliches Spiel
Geistes erfüllte.
Aber jetzt musste sie sich unter Kontrolle behalten, koste es, was es wolle.
Wassilys langsamer Gang zu ihrer Veranda erlaubte es ihr, ins Badezimmer zu eilen, etwas kaltes Wasser auf ihr Gesicht zu spritzen und ihr verfilztes Haar zu kämmen. Sie blickte in den Spiegel über dem Waschbecken und erschrak. Sie erkannte sich selbst kaum wieder.
Ihre Augen waren rot und geschwollen, Beweis ihrer schlaflosen Nächte und endlosen Tränen. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen, und sie hatte in diesen drei Tagen Gewicht verloren. Ihre Wangenknochen traten stärker hervor, die Linie ihres Kinns zeigte sich deutlicher. Ihre Haut war papierweiß, blutlos. Sie sah geschlagen aus, bezwungen, als wäre sie selbst bereit für das Grab.
Das Grab … Plötzlich war sie wieder auf dem Friedhof. Die dunkle Grube in der Erde gähnte zu ihren Füßen, die hellen Messinggriffe des schweren Mahagonisargs standen in hartem Kontrast zu der gefrorenen schwarzen Erde. Der Geruch des aufgebrochenen Rasens stieg ihr in die Nase und drehte ihr den Magen um. Der Geruch von Tod und …
Sie erstarrte auf der Schwelle zu ihrem Schlafzimmer.
Oh mein Gott.
Da war ein anderer Geruch im Raum, schwebte in der Luft. Moschus, leicht zitronig. Vertraut, unverwechselbar.
Unmöglich.
Nicks Duft.
Wie konnte …
Die Klingel ertönte, und ihr Kopf fuhr herum, verursachte ihr wieder Übelkeit.
Jedes Haar auf ihrem Körper richtete sich auf, denn zusammen mit dem Duft fühlte sie … Nick . Sie fühlte seine Anwesenheit, seine Aura. Nicks Aura war stark. Er war eine Naturgewalt. Wann immer sie ihm nah gewesen war, schienen sich die Moleküle der Luft schneller bewegt zu haben. Er war von einem Energiefeld umgeben und schlug ein eins neunzig großes nickförmiges Loch ins Universum.
Die Klingel schellte wieder, diesmal länger.
Charity sollte zur Tür eilen, sie öffnen und Wassily in ihrem Haus willkommen heißen. Es war mehr als unhöflich, einen älteren Mann draußen in der Eiseskälte warten zu lassen. Aber Charity war selbst wie erfroren vor Grauen.
Sie war durchdrungen von Nicks Geruch, ertrank in seiner Aura, und das machte ihr unglaubliche Angst.
Oh Gott, dies hier war viel schlimmer, als die verbrannten Knochen zu riechen, so schrecklich das auch gewesen war. Die Momente im Angesicht von Nicks armem, zerstörtem Körper waren traumatisch gewesen, und die Erinnerung hatte sich in ihr Innerstes eingebrannt. Kein Wunder, dass sie ihr in ihrer Trauer immer wieder vor Augen standen. Sie wusste, dass die Bilder sie bis zum Ende ihrer Tage in ihren Albträumen verfolgen würden. Nicks Tod zu riechen war zwar schrecklich, aber normal.
Aber es war ein völlig neues Ausmaß des Schreckens, Nick in ihrem Badezimmer und Schlafzimmer zu riechen und zu fühlen – den lebendigen, sexy Nick, nicht die traurigen verkohlten Knochen, die von seinem sterblichen Körper übrig waren. Dies war keine Erinnerung, nichts Reales, an dem sie sich festhalten konnte, wie schrecklich es auch gewesen sein mochte. Nein, dies war ihre Fantasie, die ihr Streiche spielte. Dies war Wahnsinn.
Der fragile Bezug zur Realität, der ihr noch geblieben war, begann zu bröckeln.
Sie blickte auf ihre Unterarme, die von einer Gänsehaut überzogen waren.
Die Klingel läutete wieder, zwei lange Töne.
Der Gedanke, Nick für den Rest ihres Lebens in leeren Räumen zu spüren, war grausig. Ihr Magen wehrte sich energisch gegen diese Vorstellung.
Sie rannte zur Toilette, wo sie zitternd die wenigen noch in ihrem Magen verbliebenen Moleküle Milch von sich gab. Ihr Magen krampfte sich wieder und wieder zusammen, bis nur noch grüne Galle kam und sie nicht mehr die Kraft zum Stehen hatte und auf die Knie sank.
Sie blieb für einen Moment erschöpft so sitzen, legte ihre fieberheiße Wange eine endlose Minute lang gegen die kühle Porzellanschüssel. Wassily wartete draußen, aber sie hatte einfach nicht die Kraft aufzustehen.
Ein weiteres Klingeln, diesmal ungeduldiger. Wassily würde die Kälte spüren. Sein Bein schmerzte, wenn das Wetter wie heute nass und kalt war. Sie konnte ihn einfach nicht länger warten lassen.
Sie zog sich an der Toilette hoch, richtete sich langsam auf und wartete eine Sekunde, ob ihr Magen sich beruhigt hatte. Als nichts geschah, spülte sie sich den Mund mit Wasser aus, um den schrecklichen Geschmack loszuwerden.
Mit zusammengebissenen Zähnen zwang sich Charity, ihre Füße zu bewegen, benutzte reine Willenskraft, um es bis zur
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