Gefährliches Spiel
Fünf Minuten, nachdem er angekommen war, blutete Jake.
Nick war draußen und hatte Basketball gespielt, als er sah, wie die größten Schläger des Waisenhauses auf etwas kleines Helles am Boden eintraten. Eine Minute später hatte Nick die Idioten von ihm weggezerrt, eine Nase und einen Arm gebrochen und einen bewusstlosen Jake ins Krankenzimmer getragen. Er wog praktisch nichts.
Das Krankenzimmer, das per Gesetz vorgeschrieben war, wurde von einer gleichgültigen Schwester besetzt, von der Nick vermutete, dass sie mit Schmerzmitteln dealte. Sie hatte keinerlei Interesse daran, sich Jake anzusehen, und tat es nur, als Nick sie massiv unter Druck setzte.
Sie flickte Jake zusammen, und danach sorgte Nick dafür, dass er die meiste Zeit an Jakes Seite verbrachte und dass jeder wusste: Wenn er sich an Jake vergriff, bedeutete das, dass er sich mit Nick anlegte. Jake war ein Opfer, aber Nick war es nicht. Niemand vergriff sich an ihm oder an denen, die er beschützte.
In den nächsten Jahren hatte Nick stets einen blassen, stummen Schatten bei sich. Jake sprach nie, aß kaum etwas und konnte nur schlafen, wenn Nick im selben Raum war. Sie wanderten von Pflegefamilie zu Pflegefamilie. Als Nick zum ersten Mal in eine Pflegefamilie kam, weigerte sich die Sozialarbeiterin, Jake in derselben Familie unterzubringen. Die Sozialarbeiterin, eine dicke Frau mit sirupartigem Südstaatenakzent und hinterhältigem Blick, bekam zehn Prozent von der Vergütung der Pflegefamilien, bei denen sie die Kinder unterbrachte. Daher wollte sie sie unbedingt getrennt unterbringen. Jake sollte in eine Familie, die auf geistig und körperlich behinderte Kinder spezialisiert war. Für diese Kinder gab es einen Bonus von fünfzig Prozent. Nick hatte Geschichten über diese Familie gehört, die ihm eine Gänsehaut verursachten. In den letzten zwei Jahren waren dort zwei Kinder gestorben.
Nick drückte die Sozialarbeiterin gegen die Wand, hielt ihr ein Messer an die Seite und sagte, dass er ihr eine Niere herausschneiden würde, wenn Jake nicht mit ihm käme. Danach wurden sie nie wieder getrennt.
Als Nick siebzehn und Jake fünfzehn war, kam eine Gruppe Soziologiestudenten zu der Pflegefamilie, bei der sie zu der Zeit waren. Die Studenten führten eine Umfrage bei Pflegekindern durch, die auch einige Zeit im Waisenhaus verbracht hatten. Die Umfrage bestand aus einem Intelligenztest, einem Rorschachtest und persönlichen Befragungen. Jake weigerte sich, Fragen zu beantworten, und blieb auch beim Rorschachtest stumm.
Der Intelligenztest war allerdings eine andere Sache.
Das Befragungsteam weigerte sich zunächst, das Ergebnis zu akzeptieren, und führte den Test ein weiteres Mal durch. Und noch einmal. Und noch ein weiteres Mal.
Jedes Mal wurde das Untersuchungsteam größer, bis schließlich ein Professor vom MIT kam und Jake mitnahm.
Jakes Ergebnisse, vor allem in Mathematik, lagen weit jenseits des vorgesehenen Messbereichs. Der Begriff Genie war noch untertrieben. Von da an wetteiferten Stiftungen um das Privileg, sich um seine Ausbildung kümmern zu dürfen. Mit achtzehn hatte er einen Master in Wirtschaft und einen in Mathematik und mit einundzwanzig einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften. Zu dem Zeitpunkt wusste er, was er wollte: Geld, und zwar sehr viel davon.
Und das hatte er jetzt auch, dachte Nick mit einiger Genugtuung. Haufenweise. Tonnen. Schiffsladungen voll. Er hatte jeden Cent davon verdient.
„Jetzt bist du reich, Kumpel“, sagte Jake leise. „Was willst du damit anstellen? Es macht keinen Sinn, jung zu sterben, wenn du reich bist, oder? Reiche Typen sterben an Altersschwäche. In ihren Betten. Mit einer heißen Blondine an jeder Seite.“
Nick verzog das Gesicht. Einmal hatte er sich zwischen zwei Missionen mit Jake betrunken. Vier Männer waren unter seinem Kommando gestorben, und er sah ihre Gesichter jede Nacht in seinen Träumen. Albträumen.
Jake hatte dagesessen und ihm still zugehört, ein Drink vor sich, während Nick zehn gekippt und endlich den absoluten Tiefpunkt erreicht hatte. Es war nichts mehr übrig von ihm, ein zu Tode erschöpftes Häufchen Mensch mit gebrochenem Herzen. Und das war der Moment gewesen, in dem er Jake gebeichtet hatte, dass er davon überzeugt war, jung zu sterben.
Danach hatte Jake sich mit der Beharrlichkeit eines Hundes mit einem Knochen geweigert, die Sache einfach fallen zu lassen. Er hatte ihm klipp und klar gesagt, dass er es sich zur Lebensaufgabe machen würde,
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