Gefährliches Talent: Kriminalroman
oder zu wenig oder zu viel geliebt hatten?
Sie schüttelte wieder den Kopf und seufzte. Eins stand fest: Es war höchste Zeit, dass sie mal mit sich selbst ins Reine kam.
KAPITEL 3
Der Mann war groß, schlank, gut aussehend und gleichmäßig gebräunt. Mitte dreißig. Er hatte etwas Schurkiges an sich, aber das lag vielleicht einfach an der Rundum-Pilotenbrille und der gelassen arroganten Art, wie er sich auf seinem Stuhl fläzte. Liz Coane hatte ihn beim Reinkommen sofort bemerkt und ihn seitdem beobachtet – natürlich diskret aus dem Augenwinkel. Er schien Geld zu haben. Nicht dass er es zur Schau stellte, aber man konnte sehen, dass es ihm gut ging. Liz hatte einen Blick dafür. Sie sah es an seiner Kleidung: Gucci-Slipper aus weichem Leder, siebenhundert Dollar das Paar, und ein wunderbar weiches, kaffeebraunes Kaschmirsakko aus der aktuellen Brioni-Herbstkollektion, das locker dreitausend Dollar gekostet haben musste. Aber er hatte die Sachen ganz schlicht mit einem weißen Hemd mit offenem Kragen und verwaschenen Jeans kombiniert (Designer-Jeans, klar, aber natürlich verwaschen wie früher, nicht etwa »
acid-washed
«). Seine dunklen Haare hatte er sich auch nicht beim Friseur an der Ecke schneiden lassen. Einen so akkuraten, wunderbar gestuften Caesarschnitt bekam man dort einfach nicht. Mindestens zweihundert Mäuse.
Er war nicht ihr Typ, viel zu glatt und gestylt. Männer mit Ecken und Kanten waren ihr lieber. Aber er war auf jeden Fall … interessant.Sie konnte förmlich riechen, dass bei ihm Geld zu machen war. Und das brauchte Liz Coane gerade ganz dringend, noch dringender als sonst.
Er saß ein paar Tische weiter ausgerechnet mit Doris Goudge zusammen, der hohlköpfigen Alten, der die Kitschgalerie Avanti auf der Gallisteo Street gehörte. Die beiden waren tief in ein Gespräch über Kunst vertieft. Nicht dass sie nah genug dran gewesen wäre, um mitzuhören, aber worüber sollten sie sonst reden? Es war schließlich Freitagnachmittag und sie saßen im Santacafé. Es war quasi ein ehernes Gesetz: Gingen an einem sonnigen Freitagnachmittag in Santa Fe ernsthafte Kunstgeschäfte über die Bühne, dann stets im von Bäumen beschatteten und von Lehmmauern umgebenen Innenhof des Santacafé.
Alle Tische waren besetzt und an jedem saßen zwei oder drei Leute – Kunsthändler, Sammler, etablierte Künstler und andere, die den Durchbruch suchten –, alle widmeten sich mit zusammengesteckten Köpfen dem Kunstgeschäft: kaufen und verkaufen, werben und schwindeln. Herrje, wenn ahnungslose Touristen, die über die Küche und die gepflegte Atmosphäre des hundertfünfzig Jahre alten Etablissements gelesen hatten, an einem Freitagnachmittag hier hereinspazierten und ein vernünftiges Essen erwarteten, dann mussten sie sich auf eine herbe Enttäuschung gefasst machen. Der Kunsthandel hatte in Santa Fe immer Vorrang. Davon lebte die Stadt. Was die Bevölkerungszahl amerikanischer Städte anging, kam Santa Fe nach der letzten Volkszählung auf Platz 508. Trotzdem gab es hier den drittgrößten Kunstmarkt der USA. Den drittgrößten! Nur in New York und Los Angeles wurde mehr Geld mit Kunst gemacht.
Im Restaurant kannte natürlich jeder jeden – oder fast jeden –, aber Liz hatte diesen Typ mit der Sonnenbrille noch nie gesehen. Allerdings hatte sie so eine Ahnung, wer er sein könnte, und wollte sie gern bestätigt haben. Sie nippte noch einmal an ihrer Margarita und stellte ihr Glas ab. »Cody Mack, weißt du, wer das da ist?«, fragte sie ihren Begleiter. »Da drüben. Der Typ, der sich mit Doris unterhält.«
Cody Mack mampfte weiter seine Hähnchen-Enchilada und sah sich um.
Liz verdrehte die Augen. »Mensch, doch nicht so auffällig!«
»Nein, kenne ich nicht«, sagte Cody Mack und fügte dann mürrisch hinzu: »Was interessiert dich der Typ überhaupt?«
Oh Gott, steht da etwa ein Wutausbruch bevor?
, dachte Liz.
Der Wunderknabe ist doch nicht etwa eifersüchtig?
Besagter Wunderknabe war Cody Mack Burley, Liz’ neuster Schützling auf ihrer allzu langen Liste von Wunderknaben und Schützlingen – oder besser gesagt, ihr baldiger Ex-Schützling. Als Künstler gerade mal mittelprächtig, war er im Bett eine Kanone, wenn auch nicht übermäßig sensibel oder einfallsreich, und da er und Liz schon seit sechs Monaten zusammen waren und sie es nie länger mit einem Typ aushielt, würde er in Kürze den Laufpass bekommen. Eigentlich hatte sie ihn schon längst abserviert, er wusste es
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