Gefährliches Talent: Kriminalroman
heimlich beobachtete er Liz Coane mit ebenso viel Interesse wie sie ihn zuvor (ebenso heimlich, aber nicht unbemerkt).
Diese Frau war ein interessantes Studienobjekt: Mit ihren zweiundvierzig (er wusste, wie alt sie war und noch viel mehr) setzte sie schon etwas Fett an und ließ sich gehen: Backen und Kinnpartie sackten und ihre zu stark blondierten, zu jugendlich stachelig geschnittenen Haare zeigten einen dunklen Ansatz. Ihre Kleidung war reinster Santa-Fe-Look wie aus einer Modezeitschrift. Sie trug schön geschnittene Bluejeans mit Schlag. Die Beine waren entlang der Außenseite mit eleganten Stickereien verziert, ebenso wie ihre kurze Jacke. Ein bisschen mexikanisch angehaucht, dachte er, und es stand ihr nicht einmal schlecht. Der tiefe Ausschnitt ihrer weichen, weißen Seidenbluse wurde von einer silbernen Navajo-Kette mit Türkisen betont. Den Ausschnitt fand er ein bisschen gewagt, denn dazu war sie zu vollbusig. Alles in allem war sie aber ganz gut beieinander und musste mal eine Schönheit gewesen sein. Sie sah auch intelligent aus. Das gefiel ihm. Er würde seinen Spaß mit ihr haben.
Er setzte die Sonnenbrille wieder auf und ging auf die Straße hinaus. Er stellte sich in den Schatten der Veranda, die sich den ganzen Block entlang erstreckte, lehnte sich gegen die Lehmmauer des Restaurants und klappte sein Handy auf. Er drückte die Kurzwahltaste. Das Telefon surrte und wählte brav die Nummer: 202-324-3447.
202 war die Vorwahl für Washington, D. C.
322-3447 war der Telefonanschluss, der zur Adresse »935 Pennsylvania Avenue, NW« gehörte.
Und dort befand sich das J. Edgar Hoover Building, die Zentrale des Federal Bureau of Investigation.
Er hieß gar nicht Roland de Beauvais, war auch nicht französischer Abstammung oder Kunsthändler. Er stammte tatsächlich aus Boston, aber das war auch so ziemlich das Einzige, was anseiner Geschichte stimmte. Er hieß Ted Ellesworth und gehörte einer kleinen Eliteeinheit des FBI an. Die offizielle Bezeichnung seiner Einheit war »Art Crime Team«, aber sie war allgemein als »Art Squad« bekannt und bestand aus dreizehn Special Agents, drei Strafverteidigern und einem Operations Specialist. Ted war Special Agent und einer von nur zwei verdeckten Ermittlern. Der Anruf war von seinem unbezahlbaren Operations Specialist Jamie Wozniak gekommen. Jamie war für »Ermittlungsunterstützung« zuständig, ein schwammiger Begriff, der ihre Computerkenntnisse, ihre Spürnase und ihr Talent, bürokratische Hürden zu überwinden, nur sehr unzureichend beschrieb.
Er sah sich auf der Straße um. Niemand in Hörweite. Gut. Er war froh, den dick aufgetragenen Bostoner Akzent für eine Weile ablegen zu können. »Hi Jamie, was ist los?«
»Wie läuft’s denn so?«, fragte sie zurück. »Hast du schon Kontakt mit der Zielperson aufgenommen?«
»Bin kurz davor. Wenn ich mich nicht irre, versucht Ms Coane gerade in diesem Augenblick, Kontakt zu mir zu knüpfen. Ich bin sicher, dass sie sich morgen bei mir meldet. Vielleicht sogar schon heute Nachmittag.«
»Mann, wieso hast du so lang dafür gebraucht? Du bist doch schon mindestens einen Tag da.«
»Muss an der Höhenluft liegen. Ich fühle mich ein bisschen schlapp.«
»Im Ernst, läuft alles glatt?«
»Wie geschmiert.«
Es lief wirklich gut. Liz Coane stand im Mittelpunkt der Ermittlungen in einer Betrugsserie, bei der extrem teure Kunstfälschungen an Käufer aus Asien und dem Nahen Osten verkauft wurden. Da die meisten Bilder die Galerie Blue Coyote durchliefen, musste Liz zwangsläufig eine Hauptrolle dabei spielen. Es war aber nicht sicher, ob sie selbst an kriminellen Handlungen beteiligt war oder ob sie nur benutzt wurde. Ted vermutete, dass sie mit drinsteckte, und er war als der elegante, aber aalglatte Roland de Beauvais nach Santa Fe gekommen, um die Wahrheit herauszufinden.
Bei einem solchen Einsatz musste man die Zielperson in dem Glauben lassen, dass sie selbst den Kontakt hergestellt hatte. An seinem ersten Tag in der Stadt hatte er bei verschiedenen Galerien reingeschaut – nur nicht in der Galerie Blue Coyote –, damit sich in der Kunstszene rumsprach, dass ein Neuer da war, ein Geschäftsmann mit jeder Menge Geld, der offenbar nicht großartig von moralischen Bedenken gequält wurde. Auf einen Hinweis von Jamie hin (wie fand sie so was nur immer raus?) hatte er sich mit Doris in
dem
Lokal zum Mittagessen verabredet, wo sich freitagnachmittags alles einfand, was im Kunstbetrieb von Santa Fe
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