Gefährliches Talent: Kriminalroman
kannte, desto mehr wurde ihr klar, dass er ein echter Spross der Whipple-Pruitt-Dynastie war: eingebildet, versnobt und hochnäsig. Und großkotzig. Und nicht sehr helle. Aber dennoch, als er immer noch bereit war, sie trotz des unverhohlenen Verdrusses seiner Familie zu heiraten, hatte sie dankbar eingewilligt. Überaus dankbar, denn sie kam sich vor wie ein Passagier auf der Titanic und er bot ihr einen Platz in seinem privaten, äußerst komfortablen Rettungsboot an.
Natürlich hätte sie erkennen müssen, dass die Aussichten nicht allzu rosig waren, als seine Familie auf einem Ehevertrag bestand, demzufolge sie leer ausging, falls die Verbindung weniger als ein Jahr hielt. Aber sie stand wegen der Blamage durch ihren Vater noch unter Schock – und um ganz ehrlich zu sein, auch wegen ihrer Finanznöte –, also stürzte sie sich in die Ehe. Vier Tage nach derHochzeit drang die Wahrheit endlich zu ihr durch und sie begriff, dass sie einen katastrophalen Fehler begangen hatte.
Das Ganze beruhte anscheinend auf einem Missverständnis. Der arme Paynton hatte das Angebot, sie trotz allem zu heiraten, nur aus falsch verstandenem Pflichtgefühl gemacht. Er war eigentlich selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie unter diesen Voraussetzungen das einzig Richtige tun und ablehnen würde. Als sie einwilligte, tat Paynton, nun seinerseits unter Schock, was ihm seine Mannesehre gebot: Er biss die Zähne zusammen und zog es durch. Als Alix das begriff, war die Ehe natürlich vorbei. Am fünften Tag ihres Lebens als Mann und Frau trennten sie sich ganz offiziell und am elften Tag reichten sie die Scheidung ein. Den Kollektivseufzer der Erleichterung, den Paynton und seine Familie ausstießen, konnte man bis nach West-Connecticut hören.
Aber sie wollte jetzt nicht mit Chris darüber reden. Vielleicht später einmal. »Und die elf Tage zogen sich ziemlich hin«, war alles, was sie sagte.
»Aha, verstehe. Und Rollie de Beauvais erinnert Sie an Ihren Verflossenen. Aber um ganz ehrlich zu sein«, sagte sie mit dem Anflug eines Lächelns, »mit einem Kerl, der aussieht wie dieser de Beauvais und so viel Geld hat wie die Whipple-Pruitts, könnte ich es viel länger aushalten als elf Tage.«
»Ja, schon, aber Paynton hatte diese Art, diese Gewohnheit zu …« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht leicht zu erklären. Es war nur …«
Chris hob sachte die Hand. »Tut mir leid, dass ich so verdammt neugierig bin, Alix. Hören Sie, wenn Sie irgendwann mal das Bedürfnis haben, drüber zu reden, haben Sie in mir eine geduldige Zuhörerin. Bis dahin reden wir nicht mehr drüber, okay?«
»Einverstanden«, sagte Alix dankbar. »Hören Sie, ich hätte vorhin nicht so überheblich sein dürfen. Ich hätte einfach sagen sollen, dass ich keine Lust habe, etwas mit ihm zu trinken. Ich hätte Sie nicht mit einbeziehen sollen. Wir könnten doch einfach zurückgehen. Falls er noch da ist, können Sie …«
»Nein, auf gar keinen Fall. Wenn ich recht darüber nachdenke, war er vielleicht ein bisschen
zu
cool. Oder zu schmierig. Oder zu irgendwas. Kommen Sie, sehen wir uns die Ausstellung an. Vielleicht finde ich ja noch was, was ich kaufen möchte. Es ist immer aufregend zu …« Sie unterbrach sich und blinzelte, als sie den Raum betraten. »Hups! Nein, eher nicht. Scheibenkleister!«
Allerdings Scheibenkleister
, dachte Alix. Die Schöpfungen des »genialen jungen Gregor Gorzynski« gehörten zu dem, was ihr Vater verächtlich »europäischen Kunst-Trash« nannte: absurd, prätentiös und pseudointellektuell, meist Werke von Anarcho-Jünglingen, die mehr Interesse daran hatten, einen reichen Mäzen aufzutun – oder besser noch eine naive, nicht mehr ganz junge, aber zuwendungsbedürftige Mäzenin –, als sich wirklich ihrer »Kunst« zu widmen. Mitten im Raum stand Gorzynski selbst in abgewetzter Lederjacke und kunstvoll zerrissenen Jeans und ließ sich lebhaft, mit theatralischem Gehabe und starkem Akzent, über die subtilen Vorzüge seiner Werke aus: überdimensionale, ungerahmte und ungleichmäßige Leinwände mit ausgefransten Rändern, mit lang gezogenen, spiraligen Klebstoffklecksen, Bindfäden und, wie’s schien, M&M’s bedeckt. Hie und da standen Skulpturen (im weitesten Sinne): notdürftig zusammengenagelte Kanthölzer, mit Schnüren, Frühstücksflocken und zerfaserten Seilen dekoriert. Über die Schnüre waren, ganz daliesk, schlaff aussehende, aber gehärtete Stränge von durchsichtigen Reisnudeln
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