Gefährliches Talent: Kriminalroman
genau an.
Es war ein mittelgroßes Bild von einer unwirklich bleichen Felswand, von tiefen Schluchten durchzogen und von einer kargen Landschaft mit hellem Sand umgeben. Darüber ein klarer Himmel. Am dunklen Grund einer Felsspalte war mit wenigen Pinselstrichen eine Figur angedeutet, ein Mann im Profil, der nach rechts schaute. Vielleicht auch eine Frau. Das Bild steckte in einem schlichten Stahlrahmen. Ideal für dieses Gemälde, fand sie. Der Metallrahmen hatte sich auch als nützlich erwiesen. Ohne ihn hätte das Kunstwerk die Landung im Kieferngebüsch nicht so gut überstanden.
»Ist es nicht wunderschön?«, sagte sie.
Hooper zuckte mit den Schultern und versuchte vergebens, ein Gähnen zu unterdrücken. »Ja, sicher, ist aber nicht mein Ding. Also ist es das Bild, das Sie aus dem Gestrüpp gezogen haben?«
»Ja, eindeutig.«
»Okay, super. Sie können gehen, Ms London.« Er schickte sich an, das Bild von der Staffelei zu nehmen. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Nein, warten Sie«, sagte Alix rasch. »Ich würde es mir gern noch ein wenig länger anschauen. Ginge das?«
Er zögerte, die Hand noch auf dem Rahmen. »Wozu?«
»Christine LeMay hat mich unter anderem engagiert, um das Bild auf seine Echtheit zu prüfen. Es gehört schließlich ihr, es sei denn, sie entscheidet sich gegen den Kauf. Aber ich glaube, das könnte für die Polizei auch von Interesse sein.«
»Ich wusste nicht, dass es da Zweifel gibt.« Er hielt die Hand vor den Mund, denn er musste schon wieder gähnen. »’tschuldigung.«
»Zweifel gibt’s immer«, sagte sie. »Vor allem bei einem so teuren Bild.«
»Wie teuer ist es denn?«, fragte er ohne wirkliches Interesse.
»Drei Millionen Dollar.«
»Ohne Scheiß?«, platzte es aus ihm heraus. Dann entschuldigte er sich wieder, fast bevor er die Worte ausgesprochen hatte. Na, wenigstens hatte er mal eine Reaktion gezeigt.
Er trat von dem Bild zurück und machte eine Geste, dass sie es jetzt inspizieren könne. »Also gut, schauen Sie es sich an.« Dann hörte sie ihn murmeln: »Drei Millionen, unglaublich.«
Sie wollte sich gerade in das Bild vertiefen, als auf dem anderen Tisch ein Telefon surrte. Hooper nahm ab. »Ja klar, Lieutenant, ich lasse ihn rein.«
Zu ihrer Überraschung wartete Roland de Beauvais vor der Tür. Sogar noch bevor er den Mund aufmachte, wusste sie, dass er wieder seine Rolle spielte. Es lag nicht nur an dem wunderschönen Kaschmirblazer, den er trug, sondern auch an den arrogant hochgezogenen Augenbrauen, dem Anflug eines selbstgefälligen Grinsens, das man am liebsten mit einer Ohrfeige wegwischen würde, und auch an seiner unerträglich lässigen Körperhaltung. Er war ein begnadeter Schauspieler, das musste man ihm lassen.
Aber nein, so begnadet nun auch wieder nicht. Er sprach zwar wie der Bostoner Geldadel, er gab sich auch so, aber er kleidete sich ganz sicher nicht so. Leute, die wirklich dieser illustren Gesellschaft angehörten – die Whipple-Pruitts zum Beispiel –, hatten vielleicht Millionen teure Bilder im Wohnzimmer und Louis-XVI-Möbel im Esszimmer, aber eben hinter verschlossenen Türen, und nur ihresgleichen bekam diese Schätze zu sehen. Sie liefen ganz bestimmt nicht in Tausend-Dollar-Jacken herum. Genießen, ohne aufzufallen, das war ihre Devise. Sie trugen löchrige Pullover und abgelaufene Segelschuhe, keine Designerjacken und Gucci-Slipper.
Er war ein Hochstapler durch und durch.
»Ach, Ms London, was für eine nette Überraschung«, sagte er. Und natürlich wieder diese schleppende, näselnde Sprechweise.
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Und was führt Sie hierher?«, fragte sie. Mist, sie wollte sich das Bild eigentlich in Ruhe allein ansehen. Mit diesem rausgeputzten Schleimer im Raum konnte sie sich nicht konzentrieren.
»Ach, die Polizei hat mich gebeten zu bestätigen, dass es sich um das Bild aus dem Büro der bedauernswerten Ms Coane handelt. Einfach schrecklich, diese Sache.« Er sah das Bild an. »Ja, das ist das Bild. Sind Sie nicht auch der Meinung?«
»Ja.«
Großartig! Und jetzt sei so nett und mach einen Abgang …
Aber er empfing ihre telepathische Nachricht nicht. Er schaute weiter das Bild an und machte keine Anstalten zu gehen. »Offensichtlich aus ihrer späten Ghost-Ranch-Periode«, sagte er.
Alix war überrascht. Der Typ war zwar widerlich, aber er kannte sich aus.
»Ja«, sagte sie, »einundsechzig oder zweiundsechzig, vielleicht dreiundsechzig. So um die Zeit.«
»Nein«, sagte er mit
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