Gefaehrten der Finsternis
»Wollen wir einen Toten auf unserem Gewissen haben? Wohl kaum. Hol mir jetzt die Wasserflasche, und zwar schnell! Feuchtet die Lappen an.« Dann schaute er sich seine Heilkräuter an. Es war nichts dabei, was die Wundheilung beschleunigen könnte.Verdammt! Wo hatte er nur seinen Kopf gehabt, als er die Sachen gepackt hatte? Er konnte sie doch nicht vergessen haben.Vielleicht ganz unten? Ja, da waren sie!
Lyannen zog eine Handvoll schwarzer Blätter heraus. Sie waren inzwischen getrocknet, aber sie konnten noch wirksam sein. Er zerkrümelte einige von ihnen und stellte aus einem der angefeuchteten Lappen einen Umschlag her. Zunächst musste er aber die Wunde säubern.Ventel stieß ein schwaches Stöhnen aus, während Lyannen sie mit einem weiteren feuchten Tuch austupfte. Er hätte seinem Bruder gern ein schmerzstillendes Mittel verabreicht, da er ja sah, wie er litt, doch er konnte es ihm nicht mit Gewalt einflößen. Dann legte er den Umschlag mit den Heilkräutern auf. Immer noch floss Blut aus der Wunde, wenn auch weniger als zuvor. Lyannen wrang das Tuch aus, reichte es Drymn und bedeutete ihm, es noch einmal anzufeuchten.
»Validen, schneide mir bitte einen Streifen Mull ab. Und zwar einen langen, denn ich muss damit die Wunde verbinden.« Er betrachtete das Stück Mull, das Validen ihm zeigte. »Ja, so. Nein, noch mehr. Etwas weniger. So ist es gut, ausgezeichnet. Such nach Nadeln, in meinem Reisesack müssten welche sein. Was ist mit dem Tuch, Drymn?«
Drymn reichte es ihm. Inzwischen kamen Elfhall und Dalman mit den Kräutern zurück. Ihre Ausbeute war zwar nicht gerade
üppig, aber es war ein gutes Heilkraut darunter, um die Schmerzen zu lindern, und einige von den schwarzen Blättern, von denen Lyannen gehofft hatte, dass sie sie finden würden. Endlich hatte er frische. Er stellte noch einen Umschlag her und legte ihn auf die Wunde. Jetzt war der Blutfluss beinahe vollständig gestillt. Lyannen hörte noch einmal das Herz ab: Es schlug unverändert. Vielleicht hatte sich Ventels Zustand ja stabilisiert. Das hätte seine kühnsten Erwartungen übertroffen. Mit Dalmans und Validens Hilfe zog er den Verband um die Wunde fest an. Er befestigte den Mull mit einer Nadel und dann stieß er seufzend die Luft aus.
»Und nun?«, fragte ihn Drymn bang.
»Jetzt muss er schlafen«, sagte Lyannen. »Ich glaube, das braucht er jetzt. Deckt ihn lieber zu, sonst könnte er sich erkälten. Und es wäre schlimm, wenn jetzt noch Fieber hinzukäme. Da ist sein Umhang.« Er starrte in Ventels schmerzerfülltes Gesicht. »Ich würde ihm gern ein Schlafmittel geben. Dann würde er weniger leiden. Aber er ist sehr schwach und das könnte gefährlich sein.« Lyannen wandte sich ab. »Ich ertrage es nicht, ihn in diesem Zustand zu sehen, Drymn.«
»Ich verstehe dich gut, Lyannen«, sagte Elfhall und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Es ist gerade sechs Monate her, da saß ich bei meinem Bruder, um den es ähnlich schlecht stand. Wir haben alles versucht, aber er hat trotzdem die Nacht nicht überlebt.«
Lyannen erschauderte. Daran wollte er nicht einmal denken. »Heute schlagen wir hier unser Lager auf«, ordnete er an. »Ja, ich weiß, wie wir schon gemerkt haben, ist das nicht gerade der sicherste Platz. Aber so, wie es Ventel geht, können wir bestimmt nicht weiterziehen, also müssen wir uns eben damit abfinden.« Er suchte in den Blicken seiner Gefährten nach einem Zeichen der Zustimmung. »Ich weiß auch, dass wir es uns nicht leisten können, Zeit zu verlieren, aber hier geht es um Leben oder Tod. Die Ewigen lassen keinen Freund im Stich. Sobald es Ventel besser
geht …« Lyannen schluckte und versuchte, seine Angst zu verjagen. »Denn es wird ihm besser gehen, und zwar bald … Dann können wir ihn auf sein Pferd setzen und so weiterziehen.«
Drymn nickte. »Doch jetzt muss jemand sein Pferd füttern.«
Lyannen warf einen Blick auf Ardir. Das Pferd fraß schon das Gras im Unterholz ab und schien zurechtzukommen. »Ich glaube, das Pferd sorgt schon für sich selbst. Wir müssen es wohl auch nicht anbinden, es wird nicht verschwinden. Ich glaube,Ventel hat es jeden Morgen gestriegelt.« Er presste die Lippen aufeinander. »Darum könnte ich mich kümmern. Ich kann gut mit Tieren umgehen.«
»Gut.« Validen schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Lyannen … wenn du irgendetwas brauchen solltest, was auch immer, dann zögere nicht, uns darum zu bitten.«
»Und wenn du dich heute Nacht ausruhen möchtest,
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