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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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des Massakers gewahr wurde, das sie angerichtet hatten, hatte er ein Mitleid empfunden, das selbst Elfhall fremd war. Daran hatte er überhaupt nicht mehr daran gedacht, doch jetzt fiel ihm alles wieder ein. Lyannen hatte während des Kampfes nicht wie ein Mann gewirkt, der gezwungen war zu töten, sondern wie jemand, der den wütenden Wunsch hat, Leben auszulöschen. Und das war nicht normal. Zumindest nicht für einen Ewigen.
    »Aber Lyannen ist kein Ewiger«, sagte eine innere Stimme in Elfhalls Kopf, »jedenfalls nicht ganz.«
    Lyannen war ein Halbsterblicher. Seine Mutter war eine Sterbliche und die wütende Rachsucht, dieser schwindelnde Rausch gehörten zu den typische Charakterzügen der Sterblichen. Auch der Herr der Finsternis, in dessen Adern zu drei Vierteln das Blut der Sterblichen floss, schien die Vernichtung der Ewigen nur aus Rache geplant zu haben.
    Aber Lyannen war nicht wie der Herr der Finsternis. Nein, das wollte Elfhall nicht glauben. Lyannen war ein Ewiger, wenn von schon nicht vom Aussehen her, dann wenigstens vom Charakter. Und der Lyannen, den Elfhall kannte, hätte nie etwas Derartiges gesagt wie vorhin. Der Lyannen, den er kannte, hatte beinahe über den Leichen der Pixies geweint, war dieser ein wenig impulsive, ungeschickte, aber im Grunde gutmütige Junge.
    Und wer war dann der unbarmherzige junge Mann, der wollte, dass der Schuldige für Ventels Leiden den schlimmsten aller Tode sterben sollte?
    Elfhall verjagte diese Frage und zwang sich, nicht weiter darüber nachzudenken. Lyannen war eben Lyannen. Er kehrte zu den anderen zurück und setzte sich neben sie ans Feuer.
    »Hat er denn nichts gewollt?«, fragte Drymn besorgt und deutete auf den Teller, den Elfhall unberührt wieder mitgebracht hatte. »Nicht einmal ein bisschen?«

    Elfhall schüttelte den Kopf. »Nein, gar nichts. Aber ich habe nicht weiter darauf beharrt. Stattdessen hat er eine halbe Flasche Ambrion getrunken.«
    »Seltsam.« Validen zuckte mit den Schultern. »Er hat nie gern getrunken, höchstens mal einen Schluck zur Erfrischung, wenn er sehr erschöpft war. Und dieses Zeug ist nun wirklich ziemlich stark.«
    Elfhall verstaute die Wasserflasche in seinem Reisesack. Die Unterredung mit Lyannen ging ihm nicht aus dem Kopf. Sein Freund hatte beinahe wütend seine Hand weggestoßen, um sich die Flasche mit dem Ambrion zu nehmen. Validen hatte recht. Lyannen hatte es nie gern getrunken.
    »Er ist sehr erschöpft«, erklärte Elfhall. »Völlig durcheinander. Da habe ich lieber nicht weiter darauf bestanden. Ihr wisst doch, wie das ist, oder? Wenn er nichts essen wollte, hätte ich ihn auf keine Weise dazu bewegen können.«
    »Ich kann mir vorstellen, dass er äußerst niedergeschlagen ist«, sagte Dalman.
    »Sehr. Um nicht zu sagen: verzweifelt.« Und er wollte den Gefährten gegenüber auch lieber nicht Lyannens Worte von vorhin erwähnen. Es gab keinen Anlass, die anderen noch mehr in Sorge zu versetzen, als sie es sowieso schon waren.
     
    Lyannen saß noch immer neben Ventel auf dem Boden zusammengekauert. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen. Er hatte gesehen, wie seine Freunde alles aufgeräumt hatten und sich Elfhall für die erste Wache ans Feuer gesetzt hatte. Lyannen bereute bereits, dass er ihn vorhin so unfreundlich behandelt hatte. Ventel war noch nicht tot, und er hatte gelernt, dass man die Hoffnung niemals aufgeben durfte. Er schämte sich zutiefst wegen seiner Rachepläne. Eigentlich hatte er nie die Absicht gehabt, so etwas zu sagen. Er war sich nicht einmal sicher, dass er so etwas überhaupt gedacht hatte, und dann hatte er diese Worte
so heftig, mit so viel Bosheit ausgesprochen. In diesem Moment hatte es ihn vor ihm selbst gegraut.Vielleicht hatte er auch Elfhall damit Angst eingejagt.
    Einen Moment lang überlegte Lyannen, ob er aufstehen und Elfhall um Verzeihung bitten sollten. Die anderen schliefen schon, niemand sonst konnte also diese etwas peinliche Geste beobachten. Aber dann entschied er sich dagegen. Er hatte sich selbst geschworen, Ventel nicht einen Augenblick allein zu lassen. Dies konnten die letzten Stunden im Leben seines Bruders sein. Um sich mit Elfhall auszusprechen, hatte er später noch genug Zeit.
    Lyannen beugte sich über seinen Bruder.Ventels Stirn glühte vor Fieber und er fantasierte. Im Schlaf drehte er sich unruhig hin und her und murmelte unzusammenhängende Worte. War der Pfeil etwa vergiftet gewesen? Das wollte Lyannen sich lieber gar nicht erst vorstellen.

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