Gefaehrten der Finsternis
wirren Haare leuchteten in einem golden schimmernden Weißblond. Hinter diesen Haaren, die über das Gesicht hingen, blitzten zwei helle Augen Ventel an. Als er in diese Augen schaute,
erwiderten sie seinen Blick.Ventel zuckte zusammen und wich instinktiv zurück, denn er hatte die Gestalt erkannt.
»Ihr Götter im Himmel!«, flüsterte er in einer Mischung aus Schreck und Verwunderung. Und als er den Blick wieder auf die Gestalt senkte, die regungslos zu seinen Füßen kauerte und weiter so leise und mühsam atmete, mischte sich auch noch Mitleid in sein Erstaunen. »Prinzessin Eileen?«
Sie bewegte sich nicht. Ihre hellgrünen Augen starrten auf eine Art, die einem Angst einflößen konnte, und ihr Atem kam zischend durch ihre halb geöffneten Lippen. Doch der Blick, mit dem sie ihn weiteranstarrte, reichte Ventel als Bestätigung. Ja, diese leidende Gestalt, die wie ein Bündel Lumpen auf dem harten Steinboden lag, war wirklich Eileen, die Prinzessin des Ewigen Königreichs, der Stern von Dardamen! Doch in was für einem Zustand! Die Dichter, die verzweifelt um Worte gerungen hatten, mit denen sich ihre Schönheit beschreiben ließ, hätten wohl hinter dieser Maske aus Schmerz kaum das Leuchten entdeckt, das sonst von ihr ausging. Ihr Gewand war schmutzig und zerrissen. Nur ihre Augen waren unverändert, unverwechselbar.
Ventel wurde sich schaudernd darüber klar, dass, wenn er tot war - und daran zweifelte er nicht, aus dem einfachen Grund, weil niemand in seinem Zustand mehr am Leben sein konnte -, auch Eileen gestorben sein musste. Er streckte ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen, aber dann bemerkte er, dass seine Finger noch blutbefleckt waren, und zog sie unentschlossen zurück.
Jetzt schob sich Eileen die Haare aus dem Gesicht, und Ventel konnte sehen, dass sie mindestens ebenso erstaunt war wie er - oder sogar noch mehr. Das war auch ihrer Stimme anzuhören, als die junge Frau mühsam etwas herausbrachte, ein Flüstern, das sich seinen Weg durch die Stille bahnte. »Ventel«, murmelte sie. »Ventel Weißhand? Wie kommt Ihr hierher? Niemand kann an diesen Ort gelangen und niemand kann ihn je wieder verlassen. Weder ich noch Ihr. Nur er kann das. Wie kommt Ihr also
hierher? Er müsste davon wissen und würde es doch niemals zulassen.« Sie zögerte einen Moment lang, und dann blitzte, so seltsam das auch scheinen mochte, kurz ein Lächeln auf ihren rissigen Lippen auf, das Lächeln eines naiven kleinen Mädchens. »Sagt mir bitte, dass Euch Lyannen schickt! Er ist gekommen, um mich zu holen, so ist es doch? Ich wusste, er würde kommen. Ich habe immer auf ihn gewartet, jeden einzelnen Tag. Deshalb lebe ich noch, denn ich wusste, dass er kommen würde. Ist er hier in der Nähe?« Nun ging ihr Atem noch heftiger. »Und mein Vater? Ventel, wisst Ihr etwas über meinen Vater? Sagt mir, dass es ihm gut geht, dass er in Dardamen in Sicherheit ist. Dardamen«, ihr Blick trübte sich kurz, »ist doch nicht gefallen, oder?«
Ventel trat ganz nah zu ihr hin, ging neben ihr in die Hocke. Eileen sank Halt suchend an seine Schulter, da ihre Kräfte nachließen und sie sich offensichtlich ohne seine Hilfe nicht einen Moment länger hätte aufrecht halten können. Als er ihre Hand nahm, spürte er, dass sie warm war, so warm wie nur die Hand einer Lebenden sein konnte, und dann dachte er, selbst wenn er aller Wahrscheinlichkeit nach tot sein musste, war sie es vielleicht, nein, ganz bestimmt nicht. Das Ganze war zu absurd. Wo auch immer sie sich jetzt aufhielt, er hätte nie dort sein dürfen. Er hätte sich an dem Ort befinden müssen, an den die Toten gehen, wo auch immer das sein mochte. Und er fragte sich, wie es möglich war, dass er sie berühren konnte und sie ihn, wenn sie inzwischen doch zwei unterschiedlichen Welten angehörten. Sein Körper konnte ihm auf diesem Weg nicht gefolgt sein, denn der musste noch irgendwo im Reich der Wälder liegen. Doch davon erzählte er ihr nichts.Wie kannst du jemanden sagen, den du gerade umarmst, der dich sieht, dich berührt und mit dir redet, dass du eigentlich tot bist?
»Nein, Dardamen ist nicht gefallen. Eurem Vater geht es gut, und was Lyannen betrifft, so ist er bereits unterwegs, um Euch zu holen«, antwortete er und hasste sich für den Freudenschimmer
in Eileens Augen, weil er wusste, dass er dieses Licht zum Verlöschen bringen musste, wenn er sie nicht täuschen wollte. »Er ist aus Dardamen aufgebrochen, um zu Euch zu kommen. Aber er hat noch einen langen Weg
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