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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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seinen Ohren pochen hören. Jetzt stieg Atur ebenfalls in den Sattel seines Pferdes und seine Augen sandten förmlich Blitze aus. Laut wie Donnerhall ertönte ein Gong von der anderen Seite.Auch die Feinde sammelten sich.
    Die Männer der Freien Garde jubelten, als sich ein Pferd näherte, dessen Hufe weit vernehmlich über das Pflaster klapperten. Ein schönes, grau geschecktes Tier, in dessen Sattel ein Mann saß, den Tyke zunächst nicht erkannte. Er war hochgewachsen, schön und stolz und hatte seine blonden, sehr langen Haare zu einer bequemen und zugleich elegant wirkenden Frisur im Nacken zusammengenommen. Anstelle von Stiefeln trug er Sandalen und Beinschienen und statt einer Hose einen kurzen cremefarbenen Rock. Sein Brustpanzer war aus purem Gold und blitzte hell auf, als ihn ein Sonnenstrahl traf. In der Faust hielt er ein glänzende, scharfes Schwert mit einem goldenen, mit Diamanten besetzten Griff. Der Mann hielt die Zügel mit einer Hand, wendete sein
Pferd und stellte es neben Aturs. Erst da erkannte ihn Tyke. Es war der Regent.
    Als er sich an Atur wandte, klang er wie ein besorgter Vater. »Sind das alle Männer?«, fragte er leise, während ihm beim Vorbeugen eine Haarsträhne über das Gesicht fiel.
    Atur nickte stumm. »Es sind nur wenige.«
    »Ich habe mir keine Hoffnung gemacht, die Stadt halten zu können«, erwiderte der Regent. Seine Augen glänzten feucht. »Ich hoffe nur auf Ablenkung des Feindes, damit möglichst viele Leben gerettet werden können.«
    Atur nickte wieder. »Wir sind bereit zu sterben«, sagte er und schien selbst dabei zu erschauern. »Wenn alles verloren ist, bringe sie zu dem Durchgang unter dem Palast. So viele, wie du kannst.«
    »Wir werden sie gemeinsam dorthin führen«, widersprach Taliman, doch man hörte ihm an, dass er selbst nicht daran glaubte.
    »Zu dieser Zeit werde ich bereits tot sein«, sagte Atur. »Rette so viele von ihnen, wie du kannst, und verschwende keinen Gedanken an mich.« Dann wurde er leiser. »Sprich jetzt zu den Truppen. Das erwarten sie von dir.«
    Doch der Regent schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht«, sagte er. »Ich schaffe das nicht. Du bist mein Sohn und ihr Kommandant. Tu du es für mich.«
    Atur legte ihm eine Hand auf die Schulter und schien noch etwas sagen zu wollen, doch aus seinen halb geöffneten Lippen kamen keine Worte. Dann senkte er den Kopf, zog seine Hand zurück, nahm die Zügel wieder auf und führte sein Pferd zu den Reihen der Freien Garde zurück. Die Augen von fünftausend Ewigen und eines Sterblichen, die der Leute an den Fenstern und auf den Balkonen und der ängstliche Blick seines Vaters ruhten nun ausschließlich auf ihm. Einen Augenblick lang glaubte Tyke, diese Spannung nicht mehr ertragen zu können. Doch dann schaute Atur auf, und als er begann, klang seine Stimme fest und sicher. Eine Sicherheit, die nur der Verzweiflung entspringen konnte.

    »Gefährten!«, rief er und ein Ruck ging durch fünftausend und einen Soldaten, ebenso durch die Reihen der Zuschauer an den Fenstern. »Ich sollte euch eigentlich Soldaten nennen. Sollte euch tapfer nennen. Krieger. Doch verzeiht mir, wenn ich euch stattdessen Brüder nenne.«
    Ein verblüfftes Raunen machte sich unter den Männern der Freien Garde breit. So eine Ansprache waren sie von ihrem Kommandanten vor einer Schlacht nicht gewöhnt.
    Atur beachtete ihr Erstaunen und ihre leisen Kommentare nicht. »Ich werde euch Brüder nennen«, fuhr er fort, und nun hatte seine Stimme an Entschiedenheit gewonnen. »Denn wir alle sind die Söhne des gleichen Vaterlandes, dieser Stadt, die wir lieben, dieser Stadt, die unser Zuhause ist. Und wenn wir schon für sie sterben müssen, wie wir es geschworen haben, sage ich euch: Wir werden Seite an Seite sterben, wie Brüder! Und wir werden unserem Feind zeigen, dass wir unser Blut teuer verkaufen!«
    An dieser Stelle erhoben sich wilde Schlachtrufe aus den Kehlen der fünftausendeins Uniformierten, in die sich Rufe der Umstehenden mischten wie »Jawohl! Bravo! Gut gesprochen! Sie sollen es uns büßen!«, sodass Atur seine Rede kurz unterbrechen musste.
    Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und seine Augen blickten zu seinem Vater, doch der Regent verzog keine Miene. Dann sah Atur wieder seine Männer an, die schweigend auf das Ende seiner Rede warteten. Und er fuhr fort: »Ihr werdet alle an unsere Väter und Mütter denken, unsere Brüder, unsere Ehefrauen und Kinder, an alle, die uns etwas bedeuten und die der Feind,

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