Gefaehrten der Finsternis
kann heutzutage wohl niemand mehr von sich behaupten, dass er sich in einer angenehmen Situation befindet.«
»Doch, der Feind«, sagte Greyannah bitter. »Je schlimmer es für uns steht, desto besser laufen die Dinge für ihn.«
»Mich ärgert am meisten, dass wir nicht zurückschlagen können. Wenn ich wenigstens den Sohn des Königs finden könnte!«
»Den Sohn des Königs?« Der Statthalter horchte auf und ließ eines seiner vielen Zöpfchen los, das er zwischen seinen Fingern herumgezwirbelt hatte. »Was meinst du damit? Drehst du jetzt auch noch durch? Der König hat nur eine Tochter, alter Freund.«
»Der König hat auch einen Sohn«, sagte Vandriyan. »Er muss jetzt ungefähr … dreihundert Jahre alt sein.« Er lächelte, als er Greyannahs verblüffte Miene sah. »Nein, es hat wirklich kein böser Geist von mir Besitz ergriffen.Warte, ich erklär’s dir, bevor du einen Arzt rufst. Erinnerst du dich: Als Myrachons Frau starb … vor dreihundert Jahren? Ein tragischer Unglücksfall, hieß es damals, mehr erfuhr man nicht. Sagen wir es ruhig in aller Deutlichkeit: Die Sache war etwas merkwürdig. Sie hatte was von den Betrügereien der Sterblichen, aber das Volk glaubte daran, vor allem, weil der Sire so verzweifelt war, dass er sich beinahe umbringen wollte. Doch es war eine Lüge und die war nicht einmal besonders gut erfunden. Ein tragischer Unglücksfall, ich bitte dich! Mir war klar, dass da etwas anderes dahintersteckte, aber Myrachon wollte es nicht näher erklären und ich drängte ihn nicht. In Wahrheit ist die Königin im Kindbett gestorben, nachdem sie einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hatte.«
»Und warum wusste niemand, dass sie schwanger war?«, fragte Greyannah und spielte wieder mit seinen Zöpfchen herum. »Das war doch zumindest ein erfreuliches Ereignis und die Freude über die Geburt eines männlichen Thronerben hätte den Sire über den schmerzlichen Verlust seiner Ehefrau hinwegtrösten können. Es gab keinen Grund, die Geburt zu verheimlichen, zumindest sehe ich keinen.«
Vandriyan lachte über den verblüfften Gesichtsausdruck seines Freundes und fragte: »Soll ich es dir verraten?«
»Nein, warte!« Auch Greyannah lächelte. »Ich will von alleine darauf kommen.Vielleicht war das Kind die Frucht einer verbotenen Liebe? Ach nein, du hast schon gesagt, dass es der Sohn des Königs war.Aber was dann? Eine ungünstige Prophezeiung?«
»Du bist ganz nah dran«, sagte Vandriyan und trommelte mit seinen langen, kräftigen Fingern auf den schwarzen Stein der Brüstung.
»Nun gut, dann also eine Prophezeiung.« Greyannah kratzte sich am Kopf. »Aber das muss eine sein, die ich nicht kenne, sonst wäre ich schon längst darauf gekommen.«
»Nur wenigen ist sie bekannt.« Der Hauptmann war schlagartig wieder ernst geworden. »Und nur wenige verstanden sie, als sie ausgesprochen wurde. Sie besagt, dass die Finsternis besiegt wird, wenn sie nicht das Kind des Königs in Bande schlägt. Damals gab es noch weitere Prophezeiungen, die die unmittelbare Rückkehr der Finsternis vorhersagten, und der Sire fürchtete deshalb um das Leben seines ungeborenen Kindes. Sosehr es ihn schmerzte - er beschloss, seinen Sohn aus der Hauptstadt wegzuschaffen und seine Identität geheimzuhalten. Niemand sollte erfahren, dass es einen männlichen Thronerben gab. So wurde das Kind direkt nach der Geburt der Obhut einer vertrauenswürdigen Person übergeben und niemand dachte mehr an ihn. Doch jetzt - warum weiß ich nicht, denn keiner wollte es mir sagen - wünscht der König, dass der Junge nach Dardamen zurückkehrt. Und er hat mich beauftragt, nach ihm zu suchen. Das einzige Problem dabei ist, dass ich schon seit einiger Zeit ohne Erfolg suche und langsam nicht mehr weiterweiß.«
»Da hast du ja eine schwierige Aufgabe!«, rief Greyannah. »Also, eigentlich ist sie sehr sehr schwierig. Doch ich bin felsenfest überzeugt - wenn es einen gibt, dem sie gelingen könnte, dann bist du das.«
»Vielen Dank für die Blumen, aber das sagt sich so leicht. ›Du bist der Einzige, der das schaffen könnte. Für dich ist das Unmögliche
machbar.Wenn schon du es nicht schaffst, wer sollte es dann schaffen?‹ Und so weiter. Aber jetzt lehne ich hier an der Brüstung deiner Feste, der Junge ist wer weiß wo, und ich überlege mir schon, ob ich nicht lieber in Syrkun bleiben sollte, um zu kämpfen.«
»Nein, das geht nicht«, sagte Greyannah bestimmt. »Du hast eine Aufgabe, die du zu Ende bringen musst, da
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