Gefaehrten der Finsternis
entzogen.«
»Davon habe auch ich gehört«, sagte Lyannen. »Und ich sage dir, das macht mir nicht gerade Mut. In der jetzigen Situation würde es mich nicht wundern, wenn sie erneut ein Bündnis geschlossen hätten - dieses Mal allerdings mit unserem Feind.«
»Entschuldigt mal bitte«, sagte Drymn aus einer Ecke mit dünner Stimme. Alle drehten sich zu ihm um. »Ihr redet schon wieder von Feinden, von Bündnissen und Kriegen. Ich meine, das kann alles sein. Aber wenn sie sich wirklich mit dem Feind verbündet hätten, warum haben sie uns dann nicht sofort umgebracht? Das wäre doch viel leichter gewesen, als uns erst umständlich die Augen zu verbinden und hierher zu schleppen.«
»Ich habe da so einen Verdacht«, murmelte Ventel finster. »Aber ich hoffe, ich irre mich.«
»Und der wäre?« Neugierig wandte sich Slyman ihm zu und sogar Rabba Nix lugte hinter seiner Schulter hervor.
»Wenn sie alle männlichen Nachkommen umbringen«, antwortete Ventel, »dann müssen sie sich ihre Männer ja irgendwo anders beschaffen.«
An diesem Morgen wurde es erst spät hell in Syrkun. Der Vormittag war schon weit fortgeschritten, als die Wolken endlich aufrissen und den Blick auf die Sonne frei gaben. Ein herbstlich anmutender Wind blies über die dunklen Steinmauern der Festung und trieb das erste getrocknete Laub vom Grat der Anhöhe und von den bewaldeten Abhängen auf. Ab und an hallte ein Donner von Osten herüber - anscheinend gab es im Wald ohne Wiederkehr und vielleicht auch in den Weißen Sümpfen Gewitter, und es war abzusehen, dass das Unwetter schon bald die Feste erreichen würde.
Während man in den Innenhöfen hektisch versuchte, alles Tragbare im Gebäude in Sicherheit zu bringen und den Rest so gut es ging abzudecken, spazierten Vandriyan und Greyannah ins Gespräch vertieft auf dem Wehrgang der Befestigungsmauer. Sie kümmerten sich nicht um die schweren, dunklen Regenwolken. Vandriyan hatte wieder seine unvermeidliche grüne Reisekleidung angelegt. Beeindruckt von der stolzen Haarpracht seines Freundes, hatte er den dünnen Zopf gelöst, der ihm normalerweise seitlich ins Gesicht hing, und sogar auf die Lilie hatte er verzichtet. Getreu seiner Überzeugung, keine offizielle Uniform zu tragen, hatte Greyannah eines seiner üblichen ärmellosen Hemden an, dieses Mal ein grau-violettes, und trug graue Flanellhosen. Alles in allem wirkte er weniger auffällig als sonst und ein zufälliger Beobachter hätte seinen Aufzug auch für eine etwas aus dem Rahmen fallende Uniform halten können.
Vandriyan lehnte sich über die Brüstung und schaute nach Norden. Dort war der Himmel klar, die Grenzstädte hatten bestimmt
einen sonnigen Tag. Mit Sicherheit schien die Sonne über der Ödnis - soweit er wusste, hatte es dort seit ungefähr achthundert Jahren nicht mehr geregnet. Der Hauptmann seufzte. Er hätte nicht in der Haut der Flüchtlinge stecken wollen, die immer noch in großer Zahl von der Grenze nach Süden strömten und auf ihrem Weg diese endlose Wüste durchqueren mussten. Soweit er erfahren hatte, schaffte es ein Drittel der verzweifelten Flüchtlinge nicht bis ans Ende ihrer Reise.
»Flüchtlinge …«, murmelte er laut vor sich hin.
»Hm?« Greyannah, der eben die Arbeit der Männer in den Innenhöfen beobachtet hatte, kam auf seine Seite der Mauer herüber. »Was hast du gerade gesagt?«
»Ach nichts«, antwortete Vandriyan. »Nichts von Bedeutung. Ich dachte nur an die Flüchtlinge aus der Grenzregion.Wie viele von ihnen habt ihr denn hier in Syrkun aufgenommen?«
»Sehr viele.« Greyannah verzog seinen Mund. »Zu viele, wenn ich daran denke, dass mehr als die Hälfte von ihnen Frauen, Kinder und Kriegsversehrte sind und der größte Teil der Männer noch nie eine andere Waffe als eine Hacke in der Hand hatte. Ich müsste sie eigentlich fortschicken, denn sie sind mehr eine Last als eine Hilfe. Jeder andere an meiner Stelle hätte das wohl getan. Ich bringe es allerdings nicht übers Herz, sie vor die Tür zu setzen und zu sagen: ›In Ordnung Leute, da geht’s lang. Wenn ihr immer geradeaus lauft und die unzähligen Gefahren überlebt, die am Weg auf euch lauern, dann werdet ihr schließlich nach Dardamen kommen.‹ Auf der anderen Seite laufen wir Gefahr, die Schlacht zu verlieren, wenn sie hierbleiben. Nenn mich ruhig sentimental, aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.«
»Das wüsste ich auch nicht«, gab Vandriyan zu. »Keine angenehme Situation, überhaupt nicht. Allerdings
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