Gefaehrten der Finsternis
ballte seine Hände zu Fäusten. »Die Ewigen können es sich nicht erlauben, auch noch diesen Letzten zu verlieren. Sie brauchen dich, du musst für sie am Leben bleiben und sie unterstützen. Aber sie können es sich erlauben, uns zu verlieren.« Seine Stimme bekam einen bitteren Klang, als er anfügte: »Unser Tod ändert nichts, verlass dich darauf. Deiner dagegen würde alles ändern, und nur zum Schlimmeren. Lasst es uns doch versuchen.«
»Sprecht wenigstens im Hohen Rat darüber!« Validen legte Lyannen eine Hand auf die Schulter und drückte sie bewegt. »Was habt ihr denn zu verlieren, wenn ihr dem Hohen Rat diesen Vorschlag unterbreitet? Sie müssen dann entscheiden. Hauptmann Vandriyan, Euer Mut ist das Bewundernswerteste auf diese Welt, aber es wäre ein Segen für alle, wenn Ihr Euch nicht dieser Gefahr aussetzt. Besprecht das im Rat. Mit dem Sire. Meinetwegen nur, um uns einen Gefallen zu tun, wenn Ihr schon nicht daran glauben wollt, dass wir eine Chance haben. Aber sprecht mit ihnen darüber. Sie werden schon die richtige Entscheidung treffen.«
Vandriyan seufzte. Er schaute zu Alvidrin hinüber, aber der schien zu erschöpft, um sich am Gespräch zu beteiligen. Der Hauptmann sah seinen Sohn ein letztes Mal prüfend an und Lyannen hielt seinem Blick stand. »In Ordnung«, gab sich Vandriyan schließlich geschlagen. »Ich werde im Hohen Rat darüber sprechen. Und ich werde mich der Stimme enthalten, werde ihnen die Entscheidung überlassen. Aber denkt daran, es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie euren Vorschlag annehmen. Und wenn sie ihn ablehnen, werde ich auf jeden Fall aufbrechen. Und weder ihr noch irgendjemand sonst wird mich davon abhalten können.«
Es war alles gesagt.Vandriyan drehte sich um und verließ mit langsamen, müden Schritten den Raum, gefolgt von Alvidrin. Die vier jungen Männer blieben in einem stillen, leeren Saal zurück, in dem eine Entscheidung in der Luft lag. Eine Entscheidung, die weit größer war als sie.
DREI
I RGENDWO RIEF EINE Eule. Ein verzweifelter Schrei. Lyannen saß allein im Laubengang vor seinem Elternhaus und lauschte, um herauszufinden, woher der Ruf kam. Hier war es beinahe dunkel, denn der Gang wurde nur von der flackernden Flamme einer Öllampe erhellt, die an einem Balken hing und kurz davor stand zu verlöschen. Doch das kümmerte Lyannen nicht. Die Nacht war so schön, ein Himmel voller Sterne funkelte über ihm, und die leichte Brise, die ihn ab und an erschauern ließ, war angenehm frisch.Vielleicht hätte er lieber völlig im Dunkeln gesessen, umso besser hätte er nachdenken können. Und es gab so viel, worüber er nachdenken musste, doch aus irgendeinem Grund wollte es ihm nicht richtig gelingen.
Der Ruf der Eule hallte in seinen Ohren wie ein böses Omen, er kündete von dem Unheil, das ihm, das ihnen allen drohte. Auch Eileen war irgendwo da draußen, in dieser Dunkelheit. Weit weg. Lyannen konnte an nichts anderes denken. Er fühlte sich, als würde er die Qualen, die sie in diesem Augenblick sicher erdulden musste, am eigenen Leib erfahren. Als wäre der Ruf jener Eule, der ihn aus seinem unruhigen Halbschlaf gerissen hatte, nur das Echo eines fernen Schreis, mit dem sie nach ihm rief und ihn um Hilfe bat. Solange dieser Ruf in seinem Kopf widerhallte, wie sollte er da überhaupt an Schlaf denken? Wenn er seine Augen schloss, sah er wieder die dunkelrote Schrift des Herrn der
Finsternis auf dem Pergament vor sich, als ob er das Blatt noch in seinen Händen hielte.Wer auch immer das geschrieben hatte, war wahnsinnig und gefährlich und in der Lage, mit Eileen alles zu machen, was er wollte. Allein der Gedanke daran brachte Lyannen ganz um den Verstand. Es war, als ob eine Hand brutal in seine Eingeweide packte. Er konnte nicht noch einen Moment länger hier ruhig unter dem Laubengang sitzen bleiben und darauf warten, dass die Flamme erlosch. Er musste etwas tun, und zwar gleich. Und wenn es nur darum ging, die Stiefel anzuziehen, sich den Umhang über die Schulter zu werfen und nach draußen zu rennen, bis in den Wald, bis in die Dunkelheit, so lange, bis er so außer Atem wäre, dass seine Kräfte ihn verließen. Vielleicht würde er erst dann, wenn er mit stechenden Lungen zu Boden sänke, die ihm noch unverständliche Botschaft im prophetischen Ruf der Eule begreifen, all die Drohungen und das Unheil, das der Vogel ihm vorauszusagen schien. Vielleicht würde es ihm dann auch gelingen, Eileens ferne Stimme zu vernehmen.
Stattdessen
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