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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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trösten.« Nun klang ihre Stimme ein wenig dunkler und ihre warme Hand glitt von seiner Brust hinab an seine Seite. »Warum konnte ich das heute nicht?«, fragte sie.
    Lyannen hatte immer auf seine Mutter gehört, sogar dann, wenn er nicht einmal Vandriyan Gehör schenken wollte. Wenn es selbst ihr nicht gelungen war, ihn zum Hereinkommen zu überreden, brauchte es gar kein anderer zu versuchen. Niemand kam jetzt mehr an Lyannen heran. Offensichtlich hatte sich das Ganze schon weiter entwickelt, als Vandriyan zunächst angenommen hatte. Es war also wirklich Liebe und nicht einfach nur eine Trotzreaktion auf sein Leben als Halbsterblicher. Das verschlimmerte die Situation noch. Das war genau die Art von Abenteuern, die entweder sehr gut oder sehr schlecht endeten, und Vandriyan hatte keinen Anlass, optimistisch zu sein. Er seufzte und in der nächtlichen Stille seiner Kammer kam ihm sein Seufzen ungewohnt laut vor.Vandriyan wollte nicht, dass Lyannen noch mehr erdulden musste; er hatte so viel Leid nicht verdient. Niemand von ihnen hatte es verdient, weder Lyannen noch Sasha oder er selbst. Sie hatten diesen Krieg nicht angefangen. Die Ewigen mochten in der Vergangenheit viele Fehler begangen haben, doch etwas Derartiges hatten selbst sie nicht verdient. Niemand hatte diesen Krieg verdient, nicht einmal die Goblins.
    »Du wirst morgen mit dem Hohen Rat sprechen, nicht wahr?«
    Sashas Stimme. Sie klang nun so nah, als ertönte sie in ihm, irgendwo in seinem Kopf. Sein zweites Gewissen. Erfüllt von banger Besorgnis. Nach so langer Zeit und so vielen Gefahren hatte sie ihn eben erst ankommen sehen, und schon musste sie wieder damit rechnen, dass er für unbestimmte Zeit aufbrechen würde, um gegen eine Bedrohung zu ziehen, die wesentlich größer als
jeder Goblin-Krieg war. Vandriyan hätte ihr das liebend gerne erspart, doch seine Pflicht gegenüber dem Königreich, zu dessen Aufbau er beigetragen hatte, stand über seinem persönlichen Wohlergehen, über seiner Familie und allem anderen. Beim Aufbruch den ersten Schritt über die heimische Schwelle zu tun und fortzuziehen, war keineswegs einfach.Vor allem nicht, wenn er in Sashas Augen sah und erkannte, dass sie das Gleiche dachte wie er, nämlich dass er beim nächsten Mal vielleicht nicht mehr auf eigenen Beinen über diese Schwelle treten würde, sondern auf einer Krankentrage hereingetragen würde, oder schlimmer noch: auf einer Totenbahre. Die Zeit konnte ihm nichts anhaben, wohl aber Schwerter aus Eisen. Und gegen Schwerter und Schilde würde er nun ziehen, dieses Mal mehr als je zuvor: gegen Eisen und Feuer.
    Mit einem undeutlichen Laut tief unten aus seiner Kehle bejahte er Sashas Frage. Der Hohe Rat. Dort erwarteten ihn stundenlange, bedeutungsschwangere und unangenehme Reden von Leuten, die nur zu gerne über andere Themen gesprochen hätten. Und diesmal mussten sie eine Entscheidung treffen, für Eileen mussten sie das. Eigentlich hätte sich Vandriyan energisch für Lyannens Vorschlag einsetzen müssen, hätte seinen Sohn zusammen mit seinen Freunden losschicken sollen. Doch als Vater widerstrebte ihm das zutiefst. Ohne zu zögern, wäre er selbst für Lyannen gestorben, wenn das notwendig gewesen wäre. Sein Herz sagte Vandriyan, dass er unverzüglich zum König gehen und ihn mit allen Mitteln davon abbringen sollte, eine Mission von dieser Tragweite vier unerfahrenen Jungen anzuvertrauen. Aber Vandriyan wusste, dass Lyannen von ihm das genaue Gegenteil erwartete, dass er sich wünschte, sein Vater würde sich mit all seiner Kraft dafür einsetzen, einen positiven Entscheid des Hohen Rats zu erreichen. Lyannen sah das nun gewiss als seine väterliche Pflicht an und mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte er damit recht. Niemals in seinem unendlich langen Leben hatte Vandriyan
das Vertrauen enttäuscht, das seine Kinder in ihn setzten, und darauf war er stolz. Doch jetzt stand er vor einer Entscheidung, die ihm ungeheuer schwer fiel.Wenn er versuchte, Lyannens Abreise zu verhindern, wäre das mehr als nur eine Enttäuschung für seinen Sohn, nein, damit würde Vandriyan zugeben, dass er nicht an seinen Erfolg glaubte, dass er ihn wie all die anderen für unfähig hielt, zu tun, was man jedem Edlen von reiner Abstammung zugestanden hätte. Das wäre der schlimmste Verrat, den er sich seinem Sohn gegenüber vorstellen konnte - gerade diesem Sohn gegenüber, der vom Leben schon so viele Nackenschläge erhalten hatte und der sich wie kein anderer auf ihn verlassen

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