Gefaehrten der Finsternis
sehr mit ihrem gefallenen Kameraden beschäftigt und mussten sich gegen den nie nachlassenden Pfeilhagel von oben schützen. Den Pfeilhagel von der Befestigungsmauer, die er nun fast erreicht hatte.
In dem Moment hörte er einen Aufschrei. »Da läuft er, der verfluchte Mörder! Auf ihn! Los, schießt auf ihn!«
Bestürzt wandte er sich um. Er wusste, das hätte er nicht tun sollen, aber er musste sich einfach umdrehen, denn er wusste, dass sie über ihn sprachen. Jetzt hätte er lieber fliehen sollen, aber stattdessen schaute er zurück, ohne genau zu wissen, warum. Und er sah, wie sie auf ihn anlegten. Sirrend gaben die Sehnen der Bogen ihre tödliche Ladung frei. Einigen Pfeile konnte er ausweichen, zwei gingen weit an ihm vorbei, ein anderer verfehlte ihn knapp, doch einer traf ihn am Hals, zum Glück nur ein Streifschuss. Er zog den Pfeil heraus und warf ihn zu Boden, Blut rann über seine Finger.
»Mörder!«
Der letzte Pfeil traf ihn hinterrücks. Er hatte nicht erwartet, dass sie noch weiterschießen würden, und dieser Bogenschütze musste sein Handwerk verstehen, denn es war ein schneller, gut gezielter und kraftvoller Schuss. Er traf ihn so heftig, dass er die Ringe seines Kettenhemdes durchschlug und ins Fleisch eindrang.
Ventel spürte, wie ein heftiger Schmerz ihn wie eine Welle überfiel, ihn in die Knie zwang. Der Schmerz verbreitete sich im ganzen Körper, ausgehend von der Wunde, die an genau der gleichen Stelle lag, an der ihn vor nicht allzu langer Zeit der Pfeil des Pixies getroffen hatte. Eine ganze Bilderflut wurde in ihm ausgelöst, so heftig, dass ihm ganz übel davon wurde.Wie in einem Traum sah er sich als Kind, beobachtete, wie er spielte, mit seinen Zinnsoldaten Schlachten entwarf, wie er seinen Dienst in der Letzten Stadt antrat, sah sich zusammen mit Lyannen und mit Irmya, in der Militärakademie bei Übungen und mitten auf einer Wiese, wie er sich mit seinem Bruder Tyhanar im Zweikampf maß. Der Strom der Erinnerungen überflutete seinen Kopf, während sein Schwert seinen Händen entglitt und ein stechender Schmerz in seiner Brust pochte. Ein verzweifelter Schrei hallte in
seinen Ohren wider, und ihm wurde bewusst, dass er es war, der da vor Schmerzen schrie. Eine wilde und schreckliche Stimme entsprang seiner eigenen Kehle, seinen eigenen Lungen. Die Erinnerungen überfluteten ihn immer noch mit ungekannter Heftigkeit. Waren das wirklich seine Erinnerungen? Nein, eher die eines Mannes, der schon einmal gestorben war, jedoch immer noch irgendwo in ihm lebte und jetzt wieder zum Vorschein kam. Dann ließ der Schmerz nach, Ventel schaute auf und sah über sich ein Gesicht, dem er schon einmal begegnet war und das sich klar aus der Flut seiner Erinnerungen abhob.Vielleicht existierte es auch nur in seiner Fantasie. Eine Stimme hallte in seinen Ohren wider, vielleicht kam sie von dem Mann über ihm, oder es war nur die Erinnerung an damals, als er mit ihm gesprochen hatte.
»Ich vergesse nicht, Elbenhauptmann, dass wir den gleichen Feind haben.«
»Den gleichen Feind«, dröhnte es in seinen Ohren. Den gleichen Feind - den gleichen Feind - den gleichen Feind - den gleichen den gleichen gleichen gleichen... Immer lauter und immer hartnäckiger tönte es, und Ventel hatte das Gefühl, als würde ihm vor Schmerz der Kopf platzen. Nun schrie er noch einmal los, aber jetzt ganz bewusst und immer lauter, solange sein Atem reichte, bis seine Adern vor Anstrengung und Schmerz hervortraten. Er schrie und schrie und schrie, bis er nicht mehr konnte. Dann erstarb sein Schrei in einem Stöhnen, während der Strom der Erinnerungen in seinem Kopf nachließ und er vornübersackte.
Doch dieses Mal fing ihn jemand auf. Zwei Arme mit stählernen Muskeln hoben ihn vom Boden hoch, als wäre er nur ein Grashalm und nicht etwa ein zwei Meter zwanzig hoher Ewiger, und setzten ihn hinter sich auf einen Pferderücken, der jedoch nicht der Rücken eines normalen Pferdes war.Ventel Weißhand nahm es kaum wahr. Der Schmerz hatte sich zu einem leichten
Pochen abgeschwächt und nun strömte sein Blut mit heißem Strahl aus den Wunden. Jetzt war ihm schwarz vor Augen, und er spürte nichts als den kalten Wind, der zärtlich über seine von allen irdischen Qualen befreite Seele fuhr.
Sire Myrachon, der König der Ewigen, der einstmals ein Sterblicher gewesen war, und Attilis Rubensis Vyrkan, oberster General der Kinder der Finsternis, kämpften gegeneinander. Sie kämpften auf Tod und Leben und vielleicht
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