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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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Einsame ihm gesagt hatte, das Wasser des Flusses sei trinkbar.Wenn er den Fluss überhaupt lebend erreichte.
    Slyman strich zärtlich über den goldenen Anhänger, den er um den Hals trug, und dankte dem Einsamen in Gedanken. Ohne dessen wertvolle Ratschläge würde er wohl längst den verblichenen Skeletten Gesellschaft leisten, die die ausgedörrte Landschaft der Ödnis zierten. Stattdessen hatte er überlebt, und das erstaunlich gut. Na ja, seit zwei Tagen hatte er nichts getrunken, er war von Kopf bis Fuß schmutzig und hatte sogar Flöhe, aber das war alles zu verschmerzen. Er war noch stark genug, um den Fluss Schwarzwasser vor dem Abend zu erreichen. Nach Meilen über Meilen in der Ödnis erschienen ihm zwei Meilen durch einen Wald wie eine Kleinigkeit.
    »Unterschätze nie die Schwierigkeiten, die noch vor dir liegen«, hörte er sogleich die Stimme des Einsamen in seinem Kopf. Zwei Meilen schienen vielleicht eine Kleinigkeit zu sein, doch das waren sie keineswegs. Es gab einen Grund, warum diese Gegend hier der Wald ohne Wiederkehr hieß, das durfte er nicht vergessen. Nur gut, dass ihm im passenden Moment immer die Ratschläge des Einsamen einfielen. Als stünde der noch neben
ihm und würde jede seiner Bewegungen mit väterlicher Aufmerksamkeit verfolgen und ihn berichtigen, wenn er einen Fehler machte. Natürlich war das nur Slymans eigene Fantasie, doch die war sehr tröstlich.
    Slyman umklammerte den Anhänger fester. Koste es, was es wolle, er würde seine Mission zu Ende bringen. Der Einsame würde stolz auf ihn sein können. Doch er musste einen Schritt nach dem anderen tun. Er zerquetschte einen Floh, der hinter seinem Ohr herumkrabbelte. Sein nächstes Ziel war es, den Fluss zu erreichen. Die Wasserflaschen zu füllen. Ausgiebig zu baden und sich von diesen ekligen Parasiten zu befreien.
    Slyman lief an dem Schild vorbei einige Schritte in den niedrigen Wald. Er war nicht sehr dicht, also kam er vorwärts, ohne sich den Weg durch die Zweige hauen zu müssen. Das vermied er, solange es ging. Regel Nummer eins für jemanden, der sich allein in gefährlichen Wäldern befindet: Du sollst keine Bäume beschädigen und die Tiere nicht erschrecken. Die Bewohner des Waldes sind schnell erbost, wenn du ihr Heim angreifst. Er schob einen Zweig beiseite, der ihm den Weg versperrte. Wie in der Ödnis ging er langsam Schritt für Schritt vorwärts und war immer wachsam, alle Sinne gespannt. Er konnte es schaffen. Er würde es schaffen. Was auch immer passieren würde, es konnte nicht schlimmer sein als die Ödnis.
    Oder doch?
    Slyman verjagte seine Zweifel. Die Ödnis lag hinter ihm, jetzt hatte er den Wald vor sich. Das war jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um den Mut zu verlieren. Wenn er es schaffen wollte, brauchte er jetzt einen beherzten und wachen Geist. Er durfte sich keinesfalls selbst entmutigen. Und vor allem nicht in der Wachsamkeit nachlassen.
    »Sei wachsam und verliere nie den Mut. Sei wachsam und verliere nie den Mut. Sei wachsam und verliere nie den Mut«, wiederholte er halblaut vor sich hin, um sich selbst zu überzeugen.
»Sei überzeugt von dem, was du tust. Sei überzeugt, dass du es schaffen kannst, dann schaffst du es auch. Sei wachsam und verliere nie den Mut.« Eins nach dem anderen. Er musste es schaffen. Und das konnte er auch.
    Trotzdem war er kurz davor, ohnmächtig zu werden, als er den Fluss erreichte. Der wurde nicht etwa so genannt, weil sein Wasser trüb war, nein, im Gegenteil, es war vollkommen klar und sauber. Der Name kam von den Steinen in seinem Bett, kleinen schwarz glänzenden Kieseln aus Vulkangestein. Und gerade weil das Wasser so klar war, wirkte es von fern, als wäre der Fluss schwarz. Er führte viel Wasser mit sich, also musste es vor Kurzem geregnet haben. Slyman konnte das nicht mit Bestimmtheit wissen, denn er kam aus der Ödnis und dort regnete es nie. Doch hier im Wald fand er überall Anzeichen dafür, dass ein Platzregen niedergegangen war. Die Blüten hatten die Feuchtigkeit aufgenommen und bogen sich unter ihrem Gewicht auf den Stängeln. Und das Wasser hatte alle natürlichen Vertiefungen im Erdreich gefüllt. Außerdem war der Fluss stark angeschwollen. Slyman hatte sich aus Vorsicht gehütet, aus den Pfützen auf dem Weg zu trinken, doch am Fluss würde er seinen Durst nun unbesorgt stillen können. Natürlich wusste man nie, welches Wesen hinter einem lauerte und einen töten wollte. Er legte den Reisesack ab und bückte sich, um zu

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