Gefährten des Zwielichts
selbst nicht wahrgenommen. Doch vor der Albe mussten sie auf der Hut sein.
»Aber Gibrax hatte eine gute Idee«, fuhr die Frau in ihrer wohlklingenden Stimme fort. »Da wir demnächst gemeinsam eine wichtige Aufgabe zu bewältigen haben, sollten wir uns einander vorstellen. Ich bin Daugrula, vertraute Dienerin unser aller Herrin Geliuna.«
»Werdet Ihr uns führen?«, fragte Wito sofort.
»Halt's Maul, Schrumpfschwengel«, fuhr der Goblin ihn an. »Sie hat gesagt, wir sollen uns vorstellen. Nicht plaudern. Ich bin Werzaz. Ein Krieger für Leuchmadan.«
In der Betonung des Namens lag eine Herausforderung. Leuchmadan, der Finstere Herrscher, der Gott aller Finstervölker, war erst vor kurzem scheinbar aus dem Nichts wieder aufgetaucht. Geliuna, die Schwarze Fei, hatte vor Jahrhunderten an seiner Seite gekämpft und die Grauen Lande als Königin regiert, seitdem er verschwunden war. Jetzt war sie gehorsam wieder ins zweite Glied zurückgetreten.
Das war die Politik der großen Leute. Ein Gnom kümmerte sich nicht viel um solche Dinge. Doch anscheinend gab es zwischen den großen Völkern Spannungen, vielleicht sogar einen Wettstreit unter den Führern. Wenn es hier verschiedene Seiten gibt, auf welcher Seite stehe ich dann?, fragte Wito sich unwillkürlich.
Doch dann erkannte er, wie gleichgültig ihm diese Frage im Grunde war. Warum sollte er sich als Gnom auf Leuchmadans oder Geliunas Seite schlagen, wenn keines dieser mächtigen Wesen je Partei für die Gnome ergreifen würde?
Aber wenn es hier verschiedene Seiten gibt, kann das unseren Auftrag gefährden, dachte er. Wie auch immer der Auftrag lautete. Es konnte den ganzen Krieg gefährden. Das war eine Sache, die viel wichtiger war als die Entscheidung zwischen der alten Königin und dem neuen Herrn. Denn keiner der beiden mochte sich viel um seine Untertanen kümmern - aber wenn einer von beiden den Krieg verlor, dann litten sie alle!
»Gibrax, der Troll«, rief Gibrax, obwohl er sich bereits vorgestellt hatte. »Das bin ich«, fügte er dann noch hinzu. Er streckte seinen riesigen Leib.
Auch die Gnome nannten ihre Namen, ein wenig verwirrt und fast schüchtern. Es war noch nie vorgekommen, dass sich alle einzeln vorstellten, wenn man die Gnome zu einem Spähauftrag rief.
Ein Rauschen erklang in der Luft, und unwillkürlich hoben alle den Kopf. Der Troll wischte dabei mit seiner Baumkeule über den Boden, und Darnamur wich hastig einer raschelnden Masse von Blättern und Zweigen aus. »He«, rief er, und fügte spöttisch hinzu, als der Troll überrascht zu ihm hinabblickte: »Eine hübsche Keule hast du da.«
»Danke«, erwiderte Gibrax stolz. »Hab ich selbst ausgerissen.«
Werzaz, der Goblin, schnaubte.
»Wir sollten zur Seite treten«, verkündete Daugrula, die Nachtalbe. »Unser aller Hauptmann kommt, und hier ist kaum genug Raum für sein Reittier.«
Dunkelheit legte sich über die Lichtung. Witos Herz schlug schneller, und er spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte.
Es ist nur ein geflügeltes Reittier, ermahnte er sich selbst. Unser Hauptmann kommt auf einem geflügelten Reittier an, wie du selbst gerade auch. Warum war ihm auf einmal so beklommen zumute?
Flügel rauschten, und ein Kreischen durchschnitt die Luft. Das Wesen schwenkte scharf über die Baumwipfel ein und sank tiefer. Ein geflügelter Mantikor!
Der Troll ließ seinen Baum los. Der Goblin zog den Kopf ein und trat unwillkürlich unter den Schutz der Bäume. Furcht sickerte auf die Lichtung herab und schlich durch die Reihen wie ein greifbares Wesen. Mit erhobenen Flügeln ließ sich der Mantikor nieder.
»Willkommen, Herr«, hörte Wito die Nachtalbe sagen. Er hatte ein eigentümliches Summen in den Ohren, wie vom Nachhall einer verklungenen Glocke, deren Schwingung man noch im Körper spürte. »Es sind alle versammelt. Wir haben uns schon bekannt gemacht. Ich werde den Wald von ungebetenen Lauschern säubern, und dann könnt Ihr den Rest unserer Truppe mit dem Auftrag vertraut machen.«
Daugrula trat näher an den Mantikor und streckte eine zartgliedrige Hand nach ihm aus. Mit seinem löwenähnlichen Leib glich das Tier fast einem Greif, doch fehlte dieser Chimäre jede Eleganz und jede Natürlichkeit. Der echsenhafte Schädel und der peitschende Schlangenschweif mit dem kleineren zweiten Kopf sahen aus, als wären sie nachlässig an den Körper geheftet, genauso wie die großen Fledermausschwingen, die das Wesen nun anlegte, sodass es den Reiter enthüllte.
Die
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