Gefährtin der Dämmerung
betastete sei nen weißen Schopf. Sein Körper an meiner Wange war kühl, die Haut straff und glatt. Unglaublich, dass sie vor gar nicht langer Zeit noch welk und leblos gewesen sein sollte.
»Dein Körper ist so stark gealtert, dass du wirklich fast ge storben wärst. Deshalb ist dein Haar weiß, oder?«
»Ja. Vermutlich.«
Als ich in sein faltenloses, schönes, von schlohweißem Haar umrahmtes Gesicht sah, traf mich die Erkenntnis, dass wir beide hätten tot sein können. Ein Messer im Herzen hätte Bones fast umgebracht, und hätte ich auf dem Felsvorsprung noch einen Schritt gemacht, hätte er bei seiner Rückkehr meinen Körper so zerschunden vorgefunden, dass an eine Wiederbelebung nicht mehr zu denken gewesen wäre.
In manchen Augenblicken war alles so klar. Die Antworten so offensichtlich, dass ich mich fragte, warum sie mir zuvor nicht eingefallen waren. Als ich geglaubt hatte, Bones wäre tot, hatte ich nur noch dafür sorgen wollen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. Es war mir egal gewesen, dass ich meinen Job würde aufgeben müssen, um für seine Leute da zu sein und seinen Tod zu rächen. Es schien mir sogar die ein zig richtige Entscheidung zu sein, Don anzurufen und ihm zu sagen, dass ich nicht mehr kommen würde.
Nun, da Bones lebte, hätte ich meine Arbeit natürlich wieder aufnehmen können. Nur wollte ich das nicht. Ich wollte Bones nicht einfach hintanstellen, als würde mir sein Leben weniger bedeuten als sein vermeintlicher Tod. Was macht man, wenn man eine zweite Chance bekommt... oder, wie in meinem Fall, eine dritte und vierte?
Auf jeden Fall lässt man sie nicht ungenutzt verstreichen.
»Von jetzt an wird alles anders«, sagte ich.
Vielleicht hatte mein Tonfall Bones vorgewarnt. Vielleicht hatte er auch meine Gedanken gelesen, denn seine Augen wei teten sich bereits, bevor ich die nächsten Worte laut ausgespro chen hatte.
»Ich gebe meinen Job auf.«
26
Spade warf erst einen strengen Blick auf die Uhr und dann auf den Teller, der auf dem Küchentisch stand. »Dein Frühstück ist kalt.«
Ich sah ebenfalls auf die Uhr. Wir hätten schon vor einer Stunde unten sein sollen, aber es gab Wichtigeres als Essen.
Ich setzte mich an den Tisch vor den offensichtlich für mich bestimmten Teller. Der Käse im Croissant war hart, die Eier eingetrocknet, und die Paprikastreifen machten auch keinen be sonders appetitlichen Eindruck mehr. Rodney setzte noch eine Kanne Kaffee auf. Offenbar war er der Ansicht, die letzte wäre nicht mehr zu retten.
Ich schenkte Spade ein Lächeln. »Keine Bange, jetzt hat das Essen Raumtemperatur, so mag ich es am liebsten.«
Ich aß mit plötzlichem Heißhunger, während Bones und Spade sich auf die Suche nach einem flüssigen Frühstück mach ten. Als sie außer Sichtweite waren, hörte ich, wie Annette sich ihnen anschloss. Bodyguards. Da Mencheres sich im Neben zimmer aufhielt, war ich in dieser Hinsicht versorgt. Außerdem hielt ich Rodney nicht für den Überläufer. Und seltsamerweise auch den anderen Vampir nicht, der gerade die Küche betrat.
Rodneys unfreundlichen Blick ignorierend ließ Vlad sich ne ben mir nieder. Ich lehnte mich zurück und schlürfte meinen Kaffee. Er betrachtete die Tasse mit einem spöttischen Grinsen.
»Ah, ein heißes Tässchen Koffein. Das brauchst du sicher nach dieser weiteren schlaflosen Nacht.«
Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen schoss. Vlad lachte in sich hinein und spielte übertrieben beiläufig an seinen Fin gernägeln herum.
»Wirklich, Cat, du brauchst nicht so schockiert zu sein.
Schalldicht ist nicht gleich gedankendicht. Gedanken durch dringen selbst die dicksten Wände. Ich habe ja selbst kaum ein Auge zubekommen bei all dem Gekreische in meinem Kopf.«
Grundgütiger, daran hatte ich gar nicht gedacht. So fühlte man sich wohl, wenn jemand ein Sextape von einem fand.
»Gerade hast du die Chance verspielt, jemals bei uns über nachten zu dürfen«, zischte ich, plötzlich ganz fasziniert von meiner Kaffeetasse. »Und ich war schon drauf und dran, dich zu mögen. Das hat sich dann wohl erledigt.«
Vlad grinste, was wölfisch und charmant wirkte.
»Ich habe mich schon so gegrämt, dass mir das die Chance verhagelt hat, unsere Freundschaft auszuweiten. Ich bin kein Narr wie Tate. Du wirst Bones nie verlassen. Der Junge sollte das einsehen und sein eigenes Leben leben.«
Ich erstarrte. Seine Worte sagten mir, dass auch er Tate nicht für den Schuldigen hielt. Sonst
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