Gefaehrtin Der Daemonen
hörten zu, alle.
Plastik klapperte, Füße schlurften. Sein Blick zuckte an meiner Schulter vorbei. Ich sah zurück. Die Haut der jungen Frau hatte eine geisterhafte Färbung, fahl und makellos. Sie hatte Piercings in den Ohrmuscheln, in der Nase und auf ihrer Zunge, Eisenknöpfe. Schwarze Augen und schwarzes, stachliges Haar, tropfnass. Ein Arbeitsanzug aus Segeltuch schmiegte sich an ihren Körper, ein Schlagring aus Messing blitzte an ihrer Hand, sowie eine Messerklinge. Harter Anblick. Netter Stil.
Ich kehrte ihr den Rücken zu und sah wieder in den Karton. Ich hatte höchstens noch ein paar Minuten und keine Zeit für einen Weitpisswettbewerb. Nicht mit einem Kind.
»Hilf mir, dann helf ich dir auch«, sagte ich zu dem Jungen.
Der Regen drang mir in den Kragen, auf meine Haut. Ich fühlte ihn aber nicht. Das Wasser wurde zu rasch von meinen Tätowierungen aufgenommen. Schneller. Die Hitze unter meinem Rollkragenpullover und meiner Jacke wurde größer, breitete sich von meinem Magen bis in die Beine aus. Meine Finger brannten.
Der Junge starrte mich gehetzt an. Seine Wangen waren eingefallen. Er sah aus wie ein Gespenst am Rand der Lebenden; unsichtbar, unbekannt, unsicher. Etwas tippte hart gegen meinen Schädel. Ein Messingschlagring. Ich ignorierte das Mädchen und betrachtete weiter den Jungen in dem Karton. Er wusste mehr, kannte nicht nur den Mörder. Ich sah es in seinen Augen. Er wusste etwas.
Das Mädchen schlug mich erneut. Ich fühlte keinen Schmerz, sondern nur den Schlag auf meine Schulter, der mich zu Boden zwang. Meine behandschuhten Finger knallten auf den nassen Beton. Wäre ich nur ein Mensch gewesen, sie hätte mir mit diesem Schlag etwas gebrochen. Regen lief mir in Mund und Augen, ich leckte mir die Lippen.
»Hör auf rumzufragen«, zischte das Mädchen und beugte sich zu mir. »Oder du hörst auf zu atmen.«
Ich drehte meinen Kopf und sah dem Mädchen in die Augen. Hinter ihr, vor der Einmündung zu der Gasse, fuhren Autos durch den prasselnden Regen. Ihre Scheinwerfer blitzten. Männer und Frauen tauchten flüchtig dort auf, gingen rasch vorbei, mit gesenktem Kopf, Taschen und Schirme in den Händen. Wir sehen nichts Böses. Und müssen es nicht erdulden. Es war eine so dünne Tünche, zwischen dort und hier. Es war so einfach, Illusionen zu erzeugen. Vor allem, wenn die Menschen Angst hatten, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.
Der Wahrheit, die ich im Gesicht des Mädchens sah. Es hatte Angst, meinte es aber ernst. Es würde mir wehtun, wenn ich nicht verschwand. Es würde mir das Leben schwer machen.
Was mir die Frage aufdrängte, ob Badelt etwas Ähnliches passiert sein mochte. Ich fragte mich auch, was es mit dem Jungen täte, weil er geredet hatte. Was jemand anders ihm antun würde.
Ich blinzelte, das Mädchen fletschte die Zähne. Dann ließ es ihr Messer aufblitzen. Es war klein, kaum länger als seine Handfläche. Kaum größer als ein Zahnstocher. Es fing meinen Blick auf das Messer auf und lächelte, als hätte es gewonnen.
Die Sonne in mir war fast untergegangen. Keine Zeit für Nettigkeiten. Ich konnte es mir nicht mehr leisten, freundlich zu sein.
Ich packte das Messer, erwischte die Klinge in der Faust, sie durchbohrte meinen Lederhandschuh. Stahl kratzte mit einem kreischenden Schaben über meine tätowierte Handfläche. Das Messer brach entzwei, fiel zwischen uns auf den Beton. Aber der Regen übertönte das Klappern, außerdem war es dunkel in der Gasse.
Das Mädchen sah jedoch genug. Es starrte mich an, noch als ich es am Rücken der Lederjacke ergriff und hastig zur Einmündung der Gasse zerrte. Es wehrte sich, schlug mir mit dem Schlagring gegen die Rippen. Das hörte sich wie der Kuss eines Babys an. Ich zog es zum Bürgersteig, während mir der Regen über das Gesicht lief. Meine Haut zischte. Die Sonne ging unter.
»Warum tust du das?«, fuhr ich das Mädchen barsch an. »Wer hat dir so viel Angst gemacht?«
»Verpiss dich!«, knurrte es, packte meine Brüste, bohrte seine Finger in das Fleisch und drehte die Hand. Ich fühlte keinen Schmerz, aber dieser Angriff schockierte mich. Es war eine überraschend schmutzige Taktik für ein so junges Ding. Vielleicht hatte man mit ihr dasselbe getan. Bei diesem Gedanken wurde mir fast schlecht.
»Ich kann dir helfen«, sagte ich, doch es spuckte mich an. Speichel landete auf meiner Jacke. Das war’s. Die Zeit war aufgebraucht. »Also gut. Geh weg und sieh dich nicht um!«
Es zögerte länger, als gut war.
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