Gefaehrtin Der Daemonen
in meinem Mustang durch die Gegend gefahren. Jetzt ruhten sie in einer mit Schnitzereien verzierten Kiste auf dem Holzboden eines Lofts.
Ich kannte jedes Wort auswendig. Jede Silbe, jeden Schwung. Ich konnte den Druck ihrer Finger durch die Rillen der Tinte in dem steifen Papier fühlen; Rillen, die sich manchmal, wenn ich sehr sentimental war, auch heilig anfühlten. Als ruhte ihre Seele in diesem Papier.
Ich erinnerte mich an das, was meine Mutter über Schmerzen schrieb. Über seltsame, ungewöhnliche Schmerzen. Sie hatte fleißig Notizen gemacht. Vermutlich wurde es Zeit, dass ich auch mal damit anfing. Nicht für die Nachwelt, sondern um zu überleben. Eines Tages würde jemand anders von meinen Erfahrungen lernen müssen. Geschriebene Worte waren meine einzige
Stimme, nachdem ich ermordet worden war. Es war das Einzige, was ich weitergeben konnte, das und die Jungs.
Zum Beispiel so etwas wie dies hier: Meine Mutter hatte nur einmal in ihrem ganzen Leben Nasenbluten gehabt. Es war von vorübergehender Erblindung und einem scharfen Schmerz in ihren Augen begleitet worden.
Sie hatte es aufgeschrieben und besonders betont; hatte dem ein eigenes Kapitel gewidmet. Weil danach eine Menge Menschen gestorben waren. Und anschließend sie selbst auch fast.
Bedauerlicherweise ist der Rest der Geschichte bis auf diese kleinen Brocken verloren gegangen. Sie hatte die Seiten herausgerissen, vermutlich noch vor meiner Geburt.
Aber nicht alles. Ein Satz war übrig geblieben, kurz bevor ihre Aufzeichnungen abbrachen. Er wirkte wie eine tickende Zeitbombe, die man unter seinem Flugzeugsitz findet, oder wie ein kaltes Lachen, wenn man glaubt, allein zu sein.
Der Schleier hat sich gelüftet , schrieb meine Mutter. Der Schleier hat sich gelüftet, und etwas ist hindurchgeschlüpft.
Irgendetwas schlüpfte immer hindurch.
Okay, das ist keine gute Erklärung. Vor gar nicht so langer Zeit lebten Dämonen auf der Erde. Viele Dämonen. Sie töteten und verzehrten Seelen; es gab Krieg. Die Leute wehrten sich. Menschen. Auch andere, die keine Menschen waren. Sie errichteten ein Gefängnis aus Luft, aus verschiedenen Schichten, Kreisen und Begrenzungen, verfrachteten die Dämonen hinein und trennten sie nach Stärke, Boshaftigkeit und Intelligenz.
Dann versiegelten sie das Gefängnis mit den Dämonen darin. Für immer.
Nur hält eben nichts für immer. Nicht mal die Jungs, obwohl die seit zehntausend Jahren ihr Bestes daransetzen.
Und darauf musste auch schon jemand anders gekommen
sein. Jemand, der etwas bewirken konnte. Jemand, der die Bannwächter schuf, Männer und Frauen, die schnell und mächtig genug waren, um diese Welt vor einem Bruch des Gefängnisschleiers zu bewahren. Es waren Menschen, die geschaffen wurden, um gegen Dämonen zu kämpfen.
Menschen, deren Bestimmung es war, die Welt zu retten.
Auch diese Bannwächter hatten nicht überlebt. Und sie hatten die Jungs nicht bekommen.
Bis auf mich. Die Letzte.
Die Frauen meiner Familie waren immer die Letzten gewesen.
Und der Schleier hatte sich gelüftet.
Schon wieder.
Und noch eine Wahrheit gab es. Ich hatte mein ganzes Leben auf der Straße verbracht und niemals eine Schule besucht. Meine Mutter hatte mich unterrichtet, und nach dem zu urteilen, was ich im Lauf der Jahre gesehen hatte, würde ich sagen, dass sie ihre Sache ziemlich gut gemacht hat. Wir sind in jeder größeren Stadt und kleineren Ortschaft in die Buchläden und Bibliotheken gegangen, und ich habe gelernt, einen Ort sehr gut nach dem Angebot seiner Buchläden oder dem Zustand seiner Bibliotheken zu beurteilen. Die beste Bibliothek hatte ich in New York gesehen; die schlechteste in Paoli, Indiana.
Seattle war nicht schlecht. Aber die Buchläden im Geschäftsviertel warben eher mit literarischen Romanen statt mit Bestsellern, und das spiegelte, fand ich jedenfalls, auch die gesellschaftliche Atmosphäre. Yuppies, die sich ein bisschen zu viele Gedanken darüber machten, was andere Leute dachten, und nur oberflächlich freundlich waren.
Die Zahl der obdachlosen Kinder sprach ebenfalls gegen die Stadt. Auf der University Avenue war es am schlimmsten. Vielleicht nicht so übel wie in Rio de Janeiro, aber in den Vereinigten
Staaten lag sie bestimmt an der Spitze. Zwei Stunden, nachdem ich das Coop’s verlassen hatte, im Regen durch die Straßen geschlendert war und nach Antworten gesucht hatte, fand ich mich in einer dunklen Gasse wieder, die von der Ave abging, ganz in der Nähe der
Weitere Kostenlose Bücher