Gefaelschtes Gedaechtnis
war. Denn woher sonst sollten seine Segelkenntnisse stammen, wenn nicht aus einem früheren Leben? Reinkarnation würde vieles erklären, dachte Duran, aber so etwas nicht. Wenn es stimmte, könnte es vielleicht das Leben nach dem Tod erklären, aber es konnte niemals die einfachere und noch quälendere Frage beantworten, die Duran sich stellte:
Wieso bin ich so allein auf der Welt? Wieso habe ich so wenig Verbindung zu mir selbst, dass ich mich nicht einmal erinnern kann, ob ich segeln kann oder wie es war, wenn meine Mutter mich im Arm hielt? Es ist, als wäre ich eine Art grobe Skizze meiner selbst geworden ...
Frustriert schaltete er die Kanäle durch. Auf MTV lief eine Reality-Show, und er hatte erst in zwei Stunden wieder einen Klienten.
Als Nicos Schwester am nächsten Nachmittag vor der Tür stand, war Duran überrascht, dass sie nicht allein war.
Ein nostalgisch wirkender kleiner Mann stand neben ihr und wippte auf den Fersen. Er sah aus wie knapp unter oder über fünfzig mit akkurat geschnittenen Elvis-Koteletten und kleinen, runden Augen. Duran musste nicht erst hinsehen, um zu wissen, dass seine Finger gelb von Nikotin waren.
»Hallo«, sagte Duran, als er die Tür öffnete und zur Seite trat, um sie hereinzulassen.
Adrienne warf ihm einen kurzen Blick zu und trat ein, ihr Freund dicht hinter ihr. Sie hatte verblüffende Ähnlichkeit mit Nico, und doch ... Es hatte etwas von Schneeweißchen und Rosenrot, wobei Adrienne eindeutig Schneeweißchen spielte. Als Duran Nico zuletzt gesehen hatte, trug sie einen kurzen Rock und ein hautenges Top. Ihre Schwester war ganz anders gekleidet. Sie trug ein strenges wadenlanges grünes Kleid mit einem weiten Rollkragen, der ihr bis ans Kinn reichte. Es war, als hätte Nico sich als ihre Kindergärtnerin verkleidet.
Duran schloss die Tür und wandte sich seinem Besuch zu. Der Mann reichte ihm einen Umschlag. Duran blickte verdutzt. »Was ist das?«
»Ihre Vorladung«, sagte der Mann.
»Meine was?«
»Ihre Vorladung.«
»Zu was bin ich vorgeladen?«
Ein leises Lachen von Elvis, der Adrienne einen Seitenblick zuwarf. »Was meinen Sie wohl?«, fragte er.
Duran wandte sich an Adrienne, deren Wangen knallrot waren, wenngleich er nicht sagen konnte, ob aus Verlegenheit oder Gehässigkeit.
»Ich verklage Sie«, sagte Adrienne.
»Weswegen?«, fragte Duran.
»Wegen absichtlicher Zufügung emotionaler Qualen — und wegen Betruges.« Sie deutete mit einem Nicken auf den Umschlag in seiner Hand. »Das ist die Klageschrift«, sagte sie, »und eine gerichtliche Vorladung. Sie haben zwanzig Tage Zeit, um der Vorladung Folge zu leisten.«
»Herrgott noch mal«, entfuhr es Duran, und er schüttelte ungläubig den Kopf.
»Und noch was«, fuhr Adrienne fort. »Wir waren bei der Polizei. Die werden sich noch mit Ihnen unterhalten.«
Duran schüttelte den Kopf. »Hören Sie«, sagte er, »ich weiß, wie Menschen reagieren können, wenn sie trauern, aber ... Ihre Schwester war eine Frau mit sehr großen Problemen.«
»Und Sie sind ein Mann mit sehr großen Problemen«, sagte Elvis. »Das heißt, bald — denn Sie wandern ins Kittchen, Doc.«
»Das ist doch lächerlich«, sagte Duran.
»Das ist überhaupt nicht lächerlich. Sie sind ein Schwindler«, sagte Adrienne.
»Und das können wir beweisen«, ergänzte Elvis.
Duran schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Dann öffnete er die Augen und sah Adrienne direkt an. »Ich habe für Ihre Schwester alles getan, was ich konnte.«
»Ja«, sagte Elvis, »das mag durchaus zutreffen. Aber darum geht's nicht. Tatsache ist: Sie sind ein Scharlatan. Sie haben das Gesetz gebrochen. «
»Welches Gesetz?«
»Haben Sie einen Stift? Schreiben Sie sich Folgendes auf: Paragraf 33, Absatz 2, 3310 Punkt 1. Schlagen Sie's nach.«
»Was soll ich nachschlagen?«, fragte Duran.
»Strafgesetzbuch. Ausübung eines ärztlichen Berufs ohne Zulassung. Nicht gut.«
Duran wandte sich Elvis zu und konzentrierte sich zum ersten Mal auf ihn. Er sah aus, als bestünde er aus Knochen und Muskeln, einer von diesen drahtigen Burschen, die als Jugendliche in so manche Schlägerei geraten waren - und das beibehalten hatten. »Nicht, dass es mich sonderlich interessieren würde«, sagte Duran, »aber wer zum Teufel sind Sie eigentlich?«
Der Mann lächelte, entzückt, Durans Aufmerksamkeit erregt zu haben. Er griff in sein Jackett und holte eine Visitenkarte hervor, die er seinem Gegenüber reichte.
Edward Bonilla
Bonilla &
Weitere Kostenlose Bücher