Gefaelschtes Gedaechtnis
welchem Jahr?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Egal.« Die Leitung war eine Weile still. Schließlich sagte Bonilla: »Geben Sie mir zwei Tage.«
Und dann legte er auf.
12
D uran spürte, wie die Luft sich verdichtete, bevor das Telefon klingelte, und dachte: Telefon. Dann klingelte es, und er zuckte unwillkürlich zusammen.
»Mr. Duran?«
Die Stimme war die einer Frau, höflich und distanziert. Vielleicht eine Mitarbeiterin bei einer Telefonmarketing-Firma, aber verhalten — nicht übertrieben freundlich..
»Ja?«
»Hier spricht Adrienne Cope.«
Oh. Seine Schultern sackten nach unten, und er dachte: Die Frau ist labil. Nimm es nicht persönlich. »Ach, hallo.« Und dann, nach kurzem Schweigen, fragte er: »Was kann ich für Sie tun?«
»Nun«, sagte sie. »Ich würde gern bei Ihnen vorbeikommen — wenn Sie so freundlich wären, mich zu empfangen.«
So freundlich wären, mich zu empfangen? Er erinnerte sich an ihre Stimme, als sie wütend zur Tür hereingestürmt war, de Groot im anderen Zimmer: Sie Scheißkerl! Sie haben sie umgebracht! »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee ist.«
»Es dauert nur ein paar Minuten«, versprach sie. »Ich würde gern mit Ihnen über Nikki sprechen.«
Duran wand sich innerlich. »Ich denke bloß ... ich bin nicht sicher, dass das irgendetwas bringt.«
»Bitte. Es dauert nicht lange, und — es würde mir wirklich helfen.«
Duran dachte darüber nach, das Schweigen wurde drückender. Vielleicht wollte sie sich für ihr Verhalten entschuldigen. Vielleicht wollte sie ihn nach den Problemen ihrer Schwester fragen. Mit ihm zu reden konnte ihr helfen, mit ihrer Trauer fertig zu werden. Es ist nicht leicht für die Hinterbliebenen. Sie gaben sich oft selbst die Schuld und brauchten Unterstützung.
»Es dauert wirklich nur ein paar Minuten«, sagte sie.
Duran seufzte. »Also schön.«
»Prima. Wann würde es Ihnen passen?«, fragte sie mit plötzlich forscher und resoluter Stimme.
»Ich muss kurz nachsehen«, erwiderte Duran und öffnete seinen Terminkalender. Schließlich sagte er: »Ich hätte morgen Nachmittag für Sie Zeit. Zwei Uhr.«
Am Abend timte er die Lieferung seines Abendessens (eine Pizza mit vier Sorten Käse und Artischockenherzen) so, dass er sich beim Essen eine Dokumentation über den America's Cup im Fernsehen angucken konnte. Während der Sendung über die Regatta verspürte Duran eine fast körperliche Verbindung mit der Crew und senkte den Kopf, als das Boot eine Boje umfuhr. Die Crew bewegte sich unglaublich schnell und gewandt auf einem Boot, das so extrem in Schräglage hing, dass Wasser über die Lukenkimmen floss.
Seine Pizza lag unberührt auf dem Teller, während er wie gebannt vom Anblick der Jachten war. Die Gischt, die vom Bug aufspritzte, das Knattern der schlaffen Segel, bevor sie sich aufblähten, als das Boot in den Wind drehte — all das jagte eine so brennende Sehnsucht durch ihn hindurch, dass er nicht hätte sprechen können, selbst wenn er gemusst hätte. Es war sehr merkwürdig. Unwillkürlich ahmte er plötzlich die Bewegungen der Segler nach, spannte sich synchron mit ihnen an, ahnte ihre Handgriffe mit kleinen Schattenbewegungen voraus. Wie ein Hund, dachte er, der seine Pfoten im Traum bewegt.
Aber woher kommt das?, fragte er sich. Es war alles so vertraut: das Gluckern und Schwappen des Wassers, die Bewegungen der Crew, die Taue, die Segel, der Salzgeruch und der strahlende Himmel. Er konnte segeln. Das spürte er. Er wusste genau, was die Crew tat und was sie tun würde, noch bevor sie es tat. Er konnte jeden Kurswechsel vorausahnen, den genauen Augenblick, wenn sich der Schwung des Rumpfes änderte, wenn der Wind die Segel füllte und das Boot vorwärts getragen wurde. Und doch ...
Er hatte keine einzige Erinnerung daran, je ein Segelboot gesteuert zu haben - oder auf einem Segelboot mitgefahren zu sein. Dennoch fühlte er, dass er segeln konnte: Es war tief und fest in ihm verankert, daran konnte kein Zweifel bestehen. Aber es gab auch keine Erinnerung. Wenn er sich nur an einen einzigen Augenblick auf See zu erinnern versuchte, sträubte sich sein Verstand, so sicher wie ein Boot, das in den Wind wendete. Die Segel wurden schlaff, und das Boot blieb schließlich stehen, tot auf dem Wasser, reglos, manövriere unfähig.
Das bin ich, dachte Duran. Mein Kopf ist manövrierunfähig. Und einen Moment lang fragte er sich halb im Ernst, ob er vielleicht wiedergeboren
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