Gefahrenzone (German Edition)
epischen 12 500 Kilometer langen militärischen Rückzug durch das gesamte Reich der Mitte, der Mao zum Nationalhelden und Führer des kommunistischen Chinas machte und vielen seiner Begleiter eine rosige Zukunft eröffnete.
Männer wie Weis Vater, vom Zufall der Geschichte während der Revolution an Maos Seite geführt, wurden später selbst als Helden betrachtet und bekleideten in den nächsten fünfzig Jahren wichtige Leitungspositionen in Peking.
Zhen Lin war also in eine privilegierte Stellung hineingeboren worden. Er wuchs zuerst in Peking auf und wurde dann auf ein exklusives Schweizer Privatinternat geschickt. Auf diesem Collège Alpin International Beau Soleil in der Nähe des Genfer Sees schloss er Freundschaft mit den Sprösslingen anderer Parteigrößen, den Söhnen hoher Parteifunktionäre, Marschälle und Generäle. Als er auf die Pekinger Universität zurückkehrte, um dort Wirtschaftswissenschaften zu studieren, stand bereits fest, dass er wie viele seiner chinesischen Klassenkameraden in diesem Edelinternat in der einen oder anderen Form in den höheren Staatsdienst treten würde.
Wei war das Mitglied einer Gruppe, die als die »Prinzlinge« bekannt wurden. Diese Söhne oder Töchter früherer hoher Parteikader, meist hochrangiger Maoisten, die in der Revolution gekämpft hatten, machten in der Politik, dem Militär und der Wirtschaftswelt des kommunistischen Chinas schnell Karriere. In einer Gesellschaft, die die Existenz einer Oberschicht leugnete, stellten die Prinzlinge unzweifelhaft die Elite dar. Sie allein besaßen das Geld, die Macht und die politischen Verbindungen, die ihnen die Möglichkeit eröffneten, über die nächste Generation ihres Landes zu herrschen.
Nach seinem Universitätsabschluss wurde Wei zu einem Kader in der Stadtverwaltung der Millionenmetropole Chongqing, wo er bis zum Rang eines stellvertretenden Bürgermeisters aufstieg. Einige Jahre später unterbrach er seine Staatskarriere, um im Wirtschaftswissenschaftlichen Institut der Universität Nanjing seinen Master in Betriebswirtschaft zu machen und auf dem Gebiet der Verwaltungswissenschaften zu promovieren. Die zweite Hälfte der Achtziger- und die gesamten Neunzigerjahre arbei tete er im internationalen Finanzsektor von Shanghai, als diese Stadt zu einer der neuen chinesischen Sonderwirtschaftszonen wurde. Diese SWZ waren von der chinesischen Zentralregierung eingerichtete Gebiete, in denen viele staatliche Gesetze aufgehoben waren, um durch einen weitgehend freien Markt ausländische Investitionen anzuziehen. Dieses Experiment mit quasi-kapitalistischen Strukturen in einzelnen Sonderzonen war ein voller Erfolg. Weis wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung sowie seine Geschäfts- und Parteibeziehungen katapultierten ihn in den Mittelpunkt des chinesischen finanziellen Aufschwungs und eröffneten ihm den Weg zu einer steilen Karriere.
Um die Jahrtausendwende wurde er zum Bürgermeister der größten chinesischen Stadt Shanghai ernannt. Hier setzte er sich für ein weiteres Wachstum der ausländischen Investitionen und eine Ausweitung der Prinzipien des freien Marktes ein.
Wei sah gut aus und besaß Charisma. Vor allem bei westlichen Wirtschaftsführern kam er ausgesprochen gut an. Zu Hause und im Rest der Welt wurde er mehr und mehr zum Gesicht des Neuen Chinas. In der Innenpolitik blieb er jedoch strikt konservativ. Größere Freiheiten waren einzig auf dem Gebiet der Wirtschaft denkbar, nicht für die normale Bevölkerung.
Nach Chinas erniedrigender Niederlage gegen Russland und die USA im Krieg um die sibirischen Goldminen und Ölfelder verloren die meisten Pekinger Regierungsmitglieder ihr Amt. Gleichzeitig wurde Wei als strahlendes Symbol des Neuen Chinas in hohe Parteiämter berufen. Er wurde Vorsitzender der Shanghaier KP und Mitglied des Sechzehnten Politbüros.
In den nächsten Jahren teilte Wei seine Zeit zwischen Shanghai und Peking auf. Einer wie er war in der Parteispitze eine absolute Rarität. Einerseits war er ein wirtschaftsfreundlicher Kommunist, der in ganz China weitere SWZ und andere Gebiete ausweisen wollte, in denen die Prinzipien der freien Marktwirtschaft galten. Gleichzeitig unterstützte er die Betonköpfe im Politbüro, die alle Ansätze liberalen Gedankenguts strikt bekämpften und eine Ausweitung der individuellen Freiheiten ablehnten.
Er war also ein Kind Maos und der Partei und ein Anhänger der internationalen Finanzwirtschaft. Der Wirtschaftsliberalismus war für ihn dabei Mittel
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