Gefahrenzone (German Edition)
ab. Was hatte das zu bedeuten? »Das ist nur das Ministerium für Öffentliche Sicherheit«, antwortete er. »Es verfügt über gepanzerte Fahrzeuge.«
»Nein, Chef! Das sind keine gepanzerten Mannschaftstransportwagen. Das sind echte Panzer! Eine lange Panzerkolonne nähert sich aus Richtung des Tiananmen-Platzes!«
»Panzer? Wessen Panzer?«
»Su! Das muss General ... entschuldigen Sie, ich meine der Vorsitzende Su sein! Er schickt schwere Waffen, um Sie zu beschützen. Das MÖS wird es nicht wagen, Sie gegen den Willen der Volksbefreiungsarmee zu verhaften. Gegen die haben sie keinerlei Chance!«
Wei konnte diese plötzliche Wende der Ereignisse kaum glauben. Der Prinzling Su Ke Qiang, Viersternegeneral der VBA und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission, der noch am Abend zuvor kein Wort der Unterstützung für ihn geäußert hatte, kam ihm jetzt im letzten Augenblick zu Hilfe?
Der Präsident der Volksrepublik China und Generalsekretär der KPCh schob die Pistole quer über den Schreibtisch seinem Chefleibwächter zu. »Major Fung ... Es sieht so aus, dass ich sie heute doch nicht benötige. Nehmen Sie sie an sich, bevor ich mich noch selbst verletze.«
Fung griff sich die Pistole, sicherte sie und steckte sie in das Holster an seiner Hüfte. »Da bin ich aber erleichtert, Herr Präsident.«
Wei glaubte nicht, dass es Fung tatsächlich kümmerte, ob er am Leben oder tot war. Trotzdem stand er auf und schüttelte seinem Leibwächter feierlich die Hand.
An einem Tag wie diesem konnte er jeden verfügbaren Verbündeten brauchen.
Wei schaute aus dem Fenster seines Büros. Er hatte eine gute Sicht über den ganzen Zhongnanhai-Regierungskomplex bis zu dessen Ummauerung. Die Straßen waren voller Panzer. Links und rechts von ihnen marschierten mit schussbereiten Gewehren Soldatenkolonnen der Volksbefreiungsarmee.
Als das Rumpeln und Dröhnen der anrückenden Panzer den Boden, die Bücher und die Einrichtungsgegenstände des Büros erzittern ließen, lächelte Wei. Allerdings gefror ihm dieses Lächeln nach kurzer Zeit auf den Lippen.
»Su?«, sagte er nachdenklich. »Warum rettet mich ausgerechnet Su?«
Er kannte jedoch bereits die Antwort. Obwohl er für das Eingreifen des Militärs dankbar war, begriff er sofort, dass es ihn schwächen und nicht stärken würde. Er würde sich dafür erkenntlich zeigen müssen.
Wei Zhen Lin wusste, dass er für den Rest seiner Amtszeit Su und seinen Generälen verpflichtet sein würde, und er wusste genau, was sie von ihm wollten.
5
J ohn Clark stand an der Küchenspüle und schaute aus dem Fenster. Draußen stieg aus der Wiese hinter dem Haus Nebel auf, der graue Nachmittag ging in einen noch graueren Abend über. Er wusste, dass er noch ein paar Minuten allein sein würde. Er entschied sich, nicht länger aufzuschieben, wovor er sich schon den ganzen Tag gefürchtet hatte.
Clark und seine Frau Sandy lebten inzwischen in diesem Farmhaus im Frederick County von Maryland kurz vor der Grenze zu Pennsylvania. Die gesamte Farm umfasste immerhin zwanzig Hektar Wald und Wiesen. Das Landleben war für ihn immer noch neu. Noch vor ein paar Jahren hätte ihn die Vorstellung von sich als »Gutsherr«, der auf seiner Veranda Eistee schlürfte, zum Kichern gebracht oder zusammenzucken lassen.
Dennoch liebte er diesen Ort. Sandy liebte ihn sogar noch mehr. Auch sein Enkel John Patrick konnte es gar nicht abwarten, wieder einmal Opa und Oma auf ihrer Farm zu besuchen.
Clark war kein Mann der langen Überlegungen. Er lebte lieber im jeweiligen Augenblick. Während er jetzt jedoch sein Anwesen betrachtete und an die unangenehme Aufgabe dachte, die vor ihm lag, musste er zugeben, dass er sich ein wirklich gutes Privatleben aufgebaut hatte.
Jetzt war es Zeit, festzustellen, ob sein Berufsleben vorüber war.
Es war Zeit, die Verbände zu entfernen und die Funktionstüchtigkeit seiner verletzten Hand zu überprüfen.
Wieder einmal zu überprüfen.
Acht Monate zuvor hatten ihm unerfahrene, aber umso brutalere Folterknechte in einem schäbigen Lagerhaus im Mitino-Viertel im Moskauer Nordwesten die rechte Hand gebrochen – nein, sie regelrecht zerschmettert. Er hatte dabei neun Knochenbrüche in den Fingern, der Handfläche und dem Handgelenk erlitten. Seitdem hatte er einen Großteil seiner Zeit damit zugebracht, sich auf drei langwierige Operationen vorzubereiten oder sich von ihnen zu erholen.
Vor zwei Wochen hatte er nun zum vierten Mal unter dem Messer gelegen.
Weitere Kostenlose Bücher