Gefahrenzone (German Edition)
Straßen zu sprechen. Außerdem schienen sie sich Sorgen zu machen, dass diese neuen Probleme ihr Ansehen im Politbüroplenum beschädigen könnten.
Die Sitzung entwickelte von nun an eine negative Eigendynamik. Wei geriet dabei immer mehr in die Defensive. Als er am Ende dieses Nachmittags in seine Amtswohnung im Zhongnanhai-Komplex zurückkehrte, wusste er, dass er die Fähigkeit der Mitglieder des Ständigen Ausschusses überschätzt hatte, den Ernst der Lage tatsächlich zu verstehen. Die Männer hatten sich seinen Plan nicht einmal angehört. Es würde also keine weiteren Diskussionen darüber geben. Die notwendige Reform war gestorben.
Eigentlich war er ja Generalsekretär und Präsident geworden, weil er keiner Parteifraktion angehörte. Bei dieser Debatte über die düstere Zukunft der chinesischen Wirtschaft hätte er jedoch einige Freunde im Ständigen Ausschuss gut brauchen können.
Als erfahrener Politiker mit einem ausgeprägten Sinn für Realpolitik war ihm bewusst, dass er unter dem gegenwärtigen politischen Klima seine eigene Haut nur retten konnte, wenn er verkünden würde, dass das stetige Wohlstandswachstum, das die Staatsführung seit fünfunddreißig Jahren versprach, auch mit ihm an der Spitze weitergehen werde. Als brillanter Wirtschaftswissenschaftler, der zu den streng geheimen Finanzdaten seines Landes Zugang hatte, wusste er jedoch, dass dies vorerst nicht der Fall sein würde. Stattdessen musste man sogar mit einem starken Rückgang und einer krisenhaften Entwicklung rechnen.
Und dies galt nicht nur für die Wirtschaft. Ein totalitäres Regime konnte – zumindest theoretisch – viele Finanzprobleme verschleiern. In gewisser Weise tat er selbst dies bereits seit Jahren, indem er durch riesige öffentliche Baumaßnahmen die Wirtschaft ankurbelte und dadurch einen unrealistischen Eindruck von deren Stärke vermittelte.
Wei wusste jedoch, dass China auf einem Pulverfass saß, da immer weitere Kreise das gesamte politische System ablehnten und die Unruhe in der Bevölkerung von Tag zu Tag zunahm.
D rei Wochen nach dieser katastrophalen Sitzung im Zhongnanhai-Komplex wurde Wei endgültig deutlich, dass seine Macht bedroht war. Während er auf Staatsbesuch in Ungarn war, befahl der Leiter der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei allen staatlichen Medien und von der KPCh kontrollierten ausländischen Presseagenturen, Berichte zu veröffentlichen oder zu senden, die Weis Wirtschaftspolitik mit Kritik übergossen. Dies hatte es so noch nie gegeben. Wei kochte vor Wut. Er brach seinen Besuch ab, eilte nach Peking zurück und bestellte den Propagandachef zum Rapport. Er bekam jedoch zur Antwort, dass dieser sich bis zum Ende der Woche in Singapur aufhalte. Daraufhin berief er eine Sondersitzung in Zhongnanhai ein, an der das gesamte fünfundzwanzigköpfige Politbüro teilnehmen sollte. Tatsächlich erschienen jedoch nur sechzehn Mitglieder.
Einige Tage später tauchten in den Medien die ersten Korruptionsvorwürfe gegen Wei auf. Es wurde behauptet, er habe seine Stellung als Bürgermeister von Shanghai zur Mehrung seines Privatvermögens missbraucht. Die Beschuldigungen wurden durch eidesstattliche Erklärungen untermauert, die Dutzende von Weis früheren Mitarbeitern und Geschäftspartnern in China und im Ausland unterschrieben hatten.
Wei war jedoch nicht korrupt. Als Bürgermeister von Shanghai hatte er sogar die Korruption in der örtlichen Geschäftswelt, bei der Polizei und im Parteiapparat erbittert bekämpft. Dabei hatte er sich natürlich zahlreiche Feinde gemacht, die jetzt nur allzu bereit waren, ihn durch falsche Aussagen anzuschwärzen, vor allem wenn ihnen dafür politische und geschäftliche Vorteile versprochen wurden.
Schließlich erließ das Ministerium für Öffentliche Sicherheit als höchste Polizeibehörde einen Haftbefehl gegen den eigenen Staatspräsidenten.
Wei wusste genau, was hier vorging. Dies war ein versuchter Staatsstreich.
Dies wurde endgültig deutlich, als der chinesische Vizepräsident am Morgen des sechsten Krisentags in Zhongnanhai vor die Kameras trat und einer verblüfften internationalen Journalistenschar verkündete, dass er die Regierungsführung übernehme, bis die Vorwürfe gegen Präsident Wei vollständig aufgeklärt seien. Der Präsident gelte ab jetzt ganz offiziell als flüchtig und werde von den chinesischen Justizbehörden gesucht.
Tatsächlich hielt sich Wei zu dieser Zeit nur vierhundert Meter entfernt in seiner
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