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Gefahrliches Vermachtnis

Gefahrliches Vermachtnis

Titel: Gefahrliches Vermachtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Lieder, mit denen seine Mutter berühmt geworden war. Aurore schlief ein.

1. KAPITEL
    September 1965
    D er junge Mann, den Dawn am Stadtrand von New Orleans aufgegabelt hatte, sah aus wie ein Rumtreiber, genau wie viele Studenten, die in jenem Sommer durch die Welt reisten. Seine Haare waren ungewaschen, seine Kleidung war ein Mix aus Rockstar und Zirkusartist. Immerhin war er wenigstens nicht so käseweiß wie diese verrückten Liverpooler Beatles oder so braun gebrannt wie diese kalifornischen Beach Boys. Im letzten Jahr war sie mehr als genügend Männern dieser Sorte begegnet. Sie tourten häufig mit Rockbands durch Europa.
    Ihr Anhalter hatte Sommersprossen und Augen dunkel wie Honig. Er nannte Ortsnamen wie Biloxi und Gulfport. Und als er sie das erste Mal „Ma’am“ nannte, hätte sie ihn am liebsten zum nächsten Deich geschleppt und ihn so lange stöhnen lassen, bis sie wirklich begriffen hätte, dass sie wieder zurück im tiefen Süden war.
    Doch sie schleppte ihn nirgendwohin. Sie erinnerte sich nicht mal an seinen Namen. Dawn war mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt, um ernsthaft an Sex zu denken. Und sie suchte auch nicht nach Liebe. Nach drei prägenden Studienjahren in Berkeley hatte sie es aufgegeben, an Liebe, an Religion oder an ein Happy End zu glauben.
    Glücklicherweise schien der Anhalter auch nicht auf der Suche nach Liebe zu sein. Er interessierte sich mehr für alles Essbare im Handschuhfach und den Stand der Tachonadel. Nach ihrer spontanen Gefühlsaufwallung vergaß sie fast, dass er in ihrem Auto saß, bis sie den Fehler beging, das Radio lauter zu stellen. Es war fünf nach halb eins, und die Nachrichten waren fast vorbei.
    „Senator Ferris Lee Gerritsen, Vorstand von Gulf Coast Shipping mit Sitz in New Orleans, kündigte heute an, dass das Unternehmen der Stadt einen Teil seiner Ländereien am Fluss zur Verfügung stellen wird. Dort soll zum Gedenken an Henry und Aurore Gerritsen, die Eltern des Senators, ein Park errichtet werden. Mrs Gerritsen, Enkelin des Gründers der Reederei, verstarb letzte Woche. Senator Gerritsen ist das einzige noch lebende Kind des Paares. Sein Bruder, Pater Hugh Gerritsen, kam letzten Sommer bei einer Bürgerrechtsdemonstration in Bonne Chance ums Leben. Der Senator wird allen Voraussagen nach 1968 für das Amt des Gouverneurs kandidieren.“
    Obwohl die Sonne bereits am Horizont versank, griff Dawn nach ihrer Sonnenbrille, um die Tränen zu verbergen, die ihr in die Augen geschossen waren. Als sie sich zurücklehnte, spürte sie auf einmal eine warme Hand auf ihrem Oberschenkel. Ihr Anhalter betrachtete sie mit demselben Gesichtsausdruck, der vor Kurzem noch ihren Twinkies gegolten hatte. Dawn ahnte, was er sah: eine langbeinige junge Frau mit kunstvoll bemalten blauen Augen. Einen Glücksfall mit Vermögen.
    Er lächelte, während er die Hand nach oben wandern ließ. „Du heißt doch Gerritsen, oder? Bist du mit ihm verwandt?“
    „Du verschwendest deine Zeit“, sagte sie.
    „Ich hab gerade nichts anderes zu tun.“
    Dawn fuhr rechts ran. Es nieselte und der Wetterbericht hatte noch mehr Regen vorhergesagt. Das änderte jedoch nichts an ihrem Entschluss. „Es wird Zeit, dir eine neue Mitfahrgelegenheit zu suchen.“
    „Hey, komm schon! Du ahnst ja nicht, wie ich dir die restliche Fahrt versüßen könnte.“
    „Entschuldigung, aber meine Vorstellungskraft ist besser, als du denkst.“
    Fluchend zog er die Hand zurück und schnappte sich seinen Rucksack.
    Als sie weiterfuhr, geriet sie ins Grübeln, was sie um jeden Preis hatte vermeiden wollen. Ihr Ausflug nach Grand Isle warkeine Vergnügungsreise; sie kam wegen ihrer Großmutter, Aurore Le Danois Gerritsen. Sie hatte auf dem Totenbett verfügt, dass das Testament vor der versammelten Familie im Sommerhaus verlesen werden sollte. Das war ein Befehl.
    Das letzte Mal, als Dawn die Strecke zwischen Grand Isle und New Orleans gefahren war, hatte sie ihren Führerschein gerade erst ein Jahr lang gehabt. Der Süden Louisianas war ein ständiger Dialog von Wasser und Land, und manchmal verwischten sich die Grenzen. Sie flog über das Land und pflügte durchs Wasser. Ihre Großmutter saß neben ihr und unterhielt sich mit ihr, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie von einer der unzähligen Hängebrücken in den düsteren Bayou Lafourche hätten stürzen können. Erst als Aurore danach ins Cottage humpelte, wurde Dawn klar, dass sie die ganze Zeit auf unsichtbare Gas- und Bremspedale getreten

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