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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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streifen.
    »Nein, Brevik«, sagte ich leise. »Nicht in biblischer Bedeutung, aber …« Ich hob die Schultern. »Laß dich durch mich doch nicht davon abschrecken, auszureden. Ich habe nie die Angewohnheit gehabt, Leute zu verurteilen. Ich habe selbst – na ja.«
    Er schüttelte schwach den Kopf. »Auch ein Pfarrer kann Gefühle haben, Veum. Auf Kollisionskurs mit den Zehn Geboten.«
    Er setzte sich wieder auf den Stuhl, beugte sich vor, in seine Gedanken vertieft, und starrte flach über meine Schreibtischplatte, als er wieder zu sprechen begann. »Als sie zu mir kam, vor zwei Jahren, kam sie wie ein Engel in mein Leben. Wo früher dunkle Räume waren, brachte sie Licht. Wo eine Wüste gewesen war, pflanzte sie Blumen. Wo ich jahrelang in Einsamkeit und Hunger dahingewandert war, wurde sie mein himmlisches Manna. – Ich hatte immer allein gelebt, niemals andere Frauenbeziehungen gehabt als zu – Freundinnen, oft älter als ich. Frauen, mit denen ich in den Gemeinden, in denen ich diente, zusammenarbeitete, Frauen, die mich in meinem Amt aufsuchten. Aber ich war alles andere als gefühlskalt. Auch ich spürte die Lust des Fleisches in mir erwachen. – Von außen kann die christliche Welt unerotisch und gefühlskalt wirken. Aber so ist es nicht. Wenn du die Psalmen liest, dann findest du dort viele starke, erotische Liebeserklärungen; und in meinem Leben in christlichen Gemeinschaften habe ich nicht wenige Ehepaare getroffen, bei denen die gegenseitige hingebungsvolle Freude und – Lust aneinander beide wie eine Sonne umstrahlte.«
    Die biblische Bildsprache färbte nicht nur seine Rede, sondern steckte auch sein Gesicht an. Seine bleiche Haut bekam einen erregten, hingerissenen Schimmer, und die Augen funkelten dunkel.
    »Rebecca wurde … das, für mich. – Sie kam in einer schwierigen Zeit zu mir. Sie sprach zu mir von ihren Sorgen, über ihren Verrat, kam zu mir mit ihrem schlechten Gewissen und ihrer tristen Ehe … und es machte es mir nicht leichter, daß der, mit dem sie verheiratet war, einer meiner nächsten Mitarbeiter war!«
    Er hob kurz den Blick und senkte ihn dann wieder. »Also gab ich ihr den Trost, die Fürsorge und den Rat, den sie brauchte. Ich gab ihr die Kraft, die sie brauchte, um mit offenem Herzen zu Jakob zurückzukehren. – Zurück. – Aber auf eine Weise blieb sie bei mir. Es blieb ein Schatten von … Licht zurück – ein Widerschein, sollte ich wohl sagen. Sie war in meinen Gedanken, und manchmal ging ich immer um den Stuhl herum, auf dem sie in meinem Büro gesessen hatte – ein ganz gewöhnlicher Stuhl aus dunkelbraunem Holz, mit rotem Leder auf dem Sitz und am Rücken – und ich erlebte es wie – als wäre er für mich ein Reliquium geworden. Das war alles. Mehr geschah nicht.«
    Ich sah ihn fragend an. »Nein?«
    »Nicht damals«, fügte er gedehnt hinzu. »Erst – im Jahr danach.
    Im letzten Jahr – passierte das, was – was uns so aufwühlte. – Aber zuerst, zuerst entstand eine sehr große Vertrautheit zwischen uns. Nachdem ich das Schiff wieder ins richtige Fahrwasser gebracht und sie in ihre Ehe zurückgeführt hatte, danach ergab es sich so, daß sie hereinschaute, von Zeit zu Zeit. Ich begriff, daß sie sich allein fühlte, daß sie jemanden brauchte, mit dem sie reden konnte. Einen Vater – einen Bruder – einen … ja.« Er machte eine resignierte Armbewegung.
    »Also wurde ich das für sie. Ihr Vertrauter. Und sie meiner. Es gab absolut nichts, worüber wir nicht sprechen konnten. Ich hatte etwas Ähnliches noch nie erlebt – mit einem anderen Menschen sprechen zu können, und auch noch mit einer Frau! – So offen und so ohne – Vorbehalt. – Und dann kamen wir einander vielleicht doch zu nah …« Er suchte nach Worten. »Ich lud sie einmal zu mir nach Hause ein, wollte sie richtig verwöhnen, buk sogar Waffeln. Kaufte Likör. Wir … Und dann geschah es einfach. Daß wir einander – entgegenkamen.« Er sah zu mir auf, bat mich mit seinem Blick, zu verstehen, ohne daß er ins Detail gehen mußte.
    Ich nickte steif. Ich verstand.
    »Aber es geschah nur dieses eine Mal! – Danach …« Seine Stimme versagte. »Danach mußte alles vorbei sein. Da konnten wir uns nicht mal mehr treffen, auf ganz normale Weise. Da barg jede Nähe eine Gefahr für – erneutes Erliegen. – Das mußte ich begreifen. Und sie auch.«
    »Aber gestern …«
    »Dann kam Jakob zu mir, vor ein paar Monaten, und erzählte, daß sie ihn wieder verlassen hätte.«
    »Wußte er

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