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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Gedanken zu Weihnachtsbräuchen in früheren Zeiten von sich.
    Eine Schreibtischlampe warf ein scharfes, weißes Licht auf die offenen Bücher. Ansonsten lag der Raum in einem barmherzigen Halbdunkel, das trotz allem aber die sich an einigen Stellen ablösende Tapete, das ausgetretene Stück Linoleum, das den Boden bedeckte, und den Eindruck von heimatlosem Pensionatsdasein nicht verbergen konnte, der wie eine Staubschicht über allem lag. Es war ein Gefühl, als befände man sich in einem Fahrstuhl, mitten zwischen zwei Etagen des Lebens, während eines Stromausfalls, nachdem der Hausmeister nach Hause gegangen war.
    Ich drehte mich um und sah sie an. »Du hast es eng hier.«
    Sie blieb in der Türöffnung stehen. Wenn sie hereinkäme, würde sie nicht verhindern können, daß eine Form von Intimität zwischen uns entstand. »Es ist nur für eine Zeit, dann … Helga hat hier immerhin jahrelang gewohnt.«
    Ich sah sie skeptisch an. »Hier drinnen?«
    Sie nickte.
    »Da hat sie selten ein Bankett gegeben.«
    »Stimmt.«
    »Aber du findest, das hier ist – besser?«
    »Im Augenblick schon. – Was wolltest du, Varg?«
    »Willst du dich nicht setzen?«
    Sie nickte schwach. Dann kam sie herein, schloß die Tür hinter sich, zeigte auf das Sofa und sagte: »Setz dich doch dahin.«
    Ich setzte mich. Sie selbst zog sich den Schreibtischstuhl heran, wandte der kurzen Wand mit den Koffern den Rücken zu und setzte sich. Das führte dazu, daß wir unterschiedlich hoch saßen: ich mit unbequem hochgezogenen Knien, sie in einer Position – und so nah –, daß ich, wenn ich vornübergefallen wäre, in ihrem Schoß gelandet wäre.
     
    Sie duftete schwach nach blassen Rosen: ein Parfum, das ihr stand. Wie ein Widerschein des Duftes breitete sich ein schwacher Schimmer von Röte auf ihren Wangen aus. »Was wolltest du, Varg?« wiederholte sie.
    »Ich hatte gerade Besuch von Berge Brevik.«
    Ich beobachtete sie. Sie war sofort auf der Hut. »Ach ja? Und weiter?«
    »Er hat – alles erzählt.«
    Das Rot in ihrem Gesicht wurde dunkler. »Das – kann er nicht! Er hat schließlich – Schweigepflicht.«
    »Nicht, was ihn selbst betrifft. Ich glaube, er hatte das Bedürfnis, sich – zu erklären.«
    Sie wandte das Gesicht ab, zum Fenster. Ihr Profil war markant, mit dem starken Nasenrücken und der mürrischen Unterlippe. Unvermittelt erkannte ich ihren Vater in den etwas schwerfälligen Linien.
    Ich räusperte mich und fuhr fort: »Und Johnny Solheim hat mir, bevor er ermordet wurde, von – ja, auch davon erzählt.«
    Sie wandte sich abrupt wieder mir zu, und ihre Augen sprühten Funken. »Ach, hat er das?!« Nach einer Pause fügte sie hinzu, mit ruhigerer Stimme: »Aber du hast mir immer noch nicht gesagt, was du willst, Varg.«
    »Eigentlich versuche ich wohl rauszufinden, warum Johnny so gestorben ist.«
    »Und was hat das mit mir zu tun?«
    »Ein Wunsch, die Vergangenheit reinzuwaschen – oder zu vernichten, vielleicht?«
    »Was meinst du?«
    »Ich weiß es nicht. Noch nicht. Nur, daß in dieser Geschichte schon viel zu viele gestorben sind, in den letzten zwei Jahren.«
    »Arild und Harry meinst du? Das kann – Zufall gewesen sein.«
    »Glaubst du das?«
    Sie sah an mir vorbei, wandte ihr Gesicht wieder zum Fenster. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Ich – weiß es nicht. Wie ich dir erzählt habe: ich kannte sie eigentlich nicht.«
    »Aber hör mal zu.« Ich beugte mich vor. »Der Bruch zwischen ihnen – die Auflösung der Band –, das war 1975.« Ich hielt inne, abwartend, als hoffte ich, sie würde mich unterbrechen und endlich erzählen, was damals passiert war, aber ihr Gesicht blieb versteinert, und ihr Blick war weiterhin auf den schwarzen Winterabend draußen gerichtet. »Aber erst 1985 beginnt etwas zu passieren. Zehn Jahre später! – Warum, Rebecca? Was ist in dem Jahr geschehen, 1985?«
    Sie wandte mir wieder das Gesicht zu. »1985 …«
    »Das zwischen dir und Berge Brevik, zum Beispiel«, sagte ich und fügte schnell hinzu: »Und was noch?«
    Sie sah verwirrt aus, als hätte der eine Angriff den anderen abgelöst. »Das sind … alles Zufälle, Varg. – Sie sind doch auch auf völlig unterschiedliche Weise gestorben, oder nicht?«
    Ich nickte. »Doch, aber sie bekamen alle einen Brief vorher.«
    »Einen Brief?«
    »Mmh. Eine Art Drohbrief. Oder eine Warnung. Einen Brief mit Engelbildern. Oblaten. – Die Harpers. Die Harfenjungs. Verstehst du? Und nach und nach wurden die Engel ausgestrichen. Jetzt

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