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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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die eine Religion notwendigerweise wahrer ist als die andere, oder daß ein spezielles Volk Gottes auserwähltes sein sollte. Wenn Gott uns wirklich geschaffen hat, dann hat er uns alle geschaffen, und er schuf uns gleich! Das sind dieselben Bedürfnisse, dieselben Antworten. Nur die Sprachen unterscheiden sich. – Aber daß es ein Ur-Mysterium gibt, das will ich gern einräumen. Daß es einen Anfang und einen Ursprung gibt, von dem wir hier unten nur die Konturen erahnen. Aber ob dieser Anfang Gott oder Allah heißt, oder wie immer du willst, das kann ich dir nicht sagen. Von mir aus könnten es im Grunde auch genausogut Erich von Dänikens Besucher aus dem All sein.«
    Er lächelte schief. »Was dich angeht, ist Jesus also vergeblich hier unten umhergewandert?«
    »Ich habe gerade das Gegenteil gesagt. Und woher haben wir unsere Zeitrechnung? – Da ich zufällig in einem christlichen Kulturkreis aufgewachsen bin, ist es klar, daß mein Verhältnis zur Religion an das Christentum gebunden ist, mit all seinen Mythen, Legenden und schönen Geschichten – von Adam und Eva bis zu Jesus und Johannes. Ob du nun an die göttliche Kraft in allem glaubst oder nicht, so kannst du doch nicht davor weglaufen, daß es die Bilderwelt ist, in der du aufgewachsen bist. Im Kielwasser der Arche Noahs und im Schatten des Turms zu Babel. Aus der Bergpredigt kann man heute noch viel Wichtiges holen. Und ob er nun Gottes Sohn war oder nur ein Mensch mit einer ganz unglaublichen Überzeugungskraft, so hat doch Jesus von Nazareth noch immer eine Botschaft und ein Programm, dem zuzuhören sich lohnt, hier auf Erden. – Ich würde also nicht sagen, daß er vergeblich hier umhergegangen ist.«
    Mit einem Lächeln und einem leichten Kopfschütteln öffnete er die Arme vor mir und sagte: »Dann ergebe dich, Veum. Zweifle nicht länger. Bei Gott dem Herrn wirst du Ruhe und Entspannung finden für alle deine rastlosen Gedanken, beim Herren Jesus findest du Licht im Dunkel. Du bist ein Lamm, Veum, das von seiner Herde abgekommen ist, aber der Hirte ist in der Nacht unterwegs und sucht nach dir, und du wirst wieder heimfinden, ich versichere es dir, du wirst heimfinden – denn im Herzen bist du einer von uns, gehörst du zu der großen und grenzenlosen Herde!«
    »Der großen, weißen?« Ich hielt ihm abwehrend die Handflächen entgegen. »Das reicht – das reicht! Gönn mir eine Pause und laß uns lieber zu dem eigentlichen Grund deines Kommens zurückkehren!«
    Das ließ ihn innehalten. Seine Arme erfroren und sanken langsam herab, der Gesichtsausdruck verlor das Engagement und die Wärme, und die Leidenschaft floß aus ihm heraus wie schmelzender Schnee von einer Kühlerhaube.
    »Rebecca«, sagte er neutral und setzte sich schwer wieder auf den Stuhl. »Ich bin wegen Rebecca hergekommen …«
    »Genau. Und du wolltest mir erklären, daß …«
    »Einen Augenblick noch, Veum. Ich weiß nicht, wie gut du Rebecca kennst.«
    »Wir sind zusammen aufgewachsen. In derselben Straße.«
    »Aha. Dann erinnerst du dich sicher daran, daß ihr Vater Prediger war.«
    Ich nickte.
    »Aber als Erwachsene hat Rebecca revoltiert – hat mit ihrem Kindheitsglauben gebrochen, was ihren Vater tief verletzt haben muß. – Ich glaube, daß das Schuldgefühl dafür schwer auf ihrem Herzen lastet. Daß sie es nicht wiedergutmachen konnte, bevor der Vater starb.«
    »Und wie sollte sie es wiedergutmachen? Indem sie den Kurs änderte, völlig gegen ihre eigene, aufrichtige Überzeugung?«
    »Sie kam jedenfalls zu mir … als Seelsorger. – Ich glaube, ich kam – wurde wie ein Vater für sie. Übernahm die Rolle des Vaters in der Situation und war jemand, dem sie glaubte, sich anvertrauen zu können.«
    »Und das wußtest du auszunutzen?«
    »Nein, Veum! So war es nicht. Du mußt nicht glauben, daß ich geplant hätte, daß so etwas geschehen sollte. Das hieße mir selbst, meiner Moral und meinen Prinzipien Gewalt anzutun.«
    »Schöne Worte, wenn man sie als Schmuck benutzt.«
    »Erspare mir banalen Zynismus, Veum. Was geschehen ist, zwischen Rebecca und mir, damals – das geschah einfach. – Was ich plötzlich für Rebecca fühlte, das kannst du nicht verstehen.«
    »Ach nein?«
    »Nein!« kläffte er förmlich.
    Beruhigend sagte ich: »Nein, vielleicht hast du recht. Aber vergiß nicht, ich kannte sie, bevor sie heiratete.«
    »Du … kanntest sie … in biblischer Bedeutung?« Sein Blick strich vorbei, wie dich die Scheinwerfer eines Autos im Winterdunkel

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