Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
von …«
    Er schüttelte beschämt den Kopf. »Ich könnte es nie über mich bringen, es ihm zu erzählen. Was sie eventuell getan hat, weiß ich nicht. Ich hoffe es wirklich nicht. Aber er wußte natürlich, daß wir gute Freunde geworden waren, und er dankte mir, damals als sie zurückkam, auf meinen Rat hin … Aber vielleicht – spürte er es trotzdem? Ich weiß es nicht. Ich habe mit so etwas keine Erfahrung.«
    »Nein, nein.« Ich sagte leichthin: »Genau genommen, in einer liberalen Zeit wie unserer, da ist das wohl auch kein Grund, sich besonders aufzuregen, oder? Ein einziger Fehltritt – dafür wird es wohl Vergebung geben?«
    »Im Himmel, ja! – Aber hier?« Er schlug sich an die Brust. »In meinem eigenen Herzen? Denn die Gefühle, die sind ja immer noch da! – Trotzdem, als ich gestern zu ihr ging, da hatte ich nur ein Ziel im Sinn: sie wieder nach Hause zu führen, noch einmal.«
    Ich spürte, wie sich mein Nacken versteifte. »Und ist sie dem Rat gefolgt, auch dieses Mal?«
    Er sah mich traurig an. »Nein, ich glaube nicht, Veum. Dieses Mal fürchte ich, meint sie es ernst. – Ich habe von den Kindern gesprochen, von ihrer Situation, Jakobs schwieriger Position innerhalb der Gemeinde, die Sicht der Kirche in solchen Fällen – noch einmal auferlegte ich ihr, mit sich zu kämpfen, mit den Dämonen zu kämpfen, die vielleicht in ihr waren, sie auszutreiben und in Jesus’ sicheren Schoß zurückzukehren, aber … Dieses Mal nicht.«
    Ich atmete langsam wieder aus. Dann sagte ich leise: »Aber ist sie überhaupt zu dem zurückgekehrt, was du ihren kindlichen Glauben genannt hast?«
    Wieder schüttelte er traurig den Kopf. »Nein. Aber sie war auf dem Weg, Veum. Ich bin sicher, daß sie auf dem Weg war.«
    Plötzlich sah ich ihren Vater wieder vor mir, wenn er durch die Straße ging, mit der verschlissenen Arbeitstasche unter dem Arm, gedämpft und etwas geduckt in seinem Wesen, aber immer mit Zeit, um bei uns stehenzubleiben, die wir da spielten, zu fragen, was wir taten und wie es uns ging. Rebeccas Vater. Später, in den Jahren, in denen ich um ihre Tür in Lindås kreiste und träumte, hatte sein Blick mehr Weisheit und Resignation ausgedrückt und mich an der Tür mit freundlicher Skepsis empfangen. Er saß am Küchentisch und drehte sich eine Zigarette der billigsten Sorte, die er mit spitzen Fingern neben die aufgeschlagene Bibel legte und die er nicht anzündete, bevor er den Text für diesen Tag gelesen hatte. Und schließlich ein paar vereinzelte Bilder von ihm, auf der Straße: ein mageres Gesicht und ein Körper, den der unsichtbare Feind schon langsam auffraß. Eine Todesanzeige in der Zeitung, und dann wird das Gesicht langsam ausgelöscht, verschwindet im Gedränge der Zeit, bis es plötzlich wieder auftaucht, als eine Sammlung von Erinnerungen.
    »Warum glaubst du, daß sie dieses Mal nicht zu ihm zurückkehren wird?« fragte ich.
    »Ich glaube – sie hat zuviel erlebt. Zu vieles verziehen. Und Verzeihen ist ein Geschenk Gottes, Veum. Die Menschen haben ihren Anteil zugeteilt bekommen, aber daraus läßt sich nicht unbegrenzt schöpfen. – Sie hat – Schlimmes erlebt.«
    Ich spürte, daß er plötzlich wieder auf der Hut war. »Du denkst an das, was mit den Harpers passierte?«
    »Ich denke an alles. Ich kann mich nicht hier hinsetzen und mich auf irgend etwas Bestimmtes beziehen. Ich habe meine Schweigepflicht.«
    »Die hat dich bis jetzt nicht gehindert.«
    »Weil ich über mich selbst gesprochen habe. Ich bin heute zu dir gekommen, um dir meinen Fall zu erläutern, damit du nichts Falsches denkst von … Rebecca … oder mir. – Wenn es darum geht, was sie gesagt hat, dann ist meine Schweigepflicht absolut.«
    »Aber, neutral betrachtet, dann kannst du also verstehen, warum sie nicht zurückgeht?«
    Er beugte sich wieder zu mir vor, so dicht, daß nicht mal die Schatten verstehen konnten, was wir sagten. »Eines sage ich dir, Veum. Es ist nicht so einfach, wenn jemand plötzlich eine Tür vor dir öffnet, und du siehst mit einem Mal direkt in die Hölle!«
    Ich sah ihn an, wartete auf eine Fortsetzung, die nicht kam.
    Er zog sich wieder in sich selbst zurück.
    Dann sagte ich trocken: »Nein, da ist es sicher am besten, seinen Mitgliedsausweis dabei zu haben.«
    Plötzlich erhob er sich wieder, ging am Schreibtisch vorbei und ans Fenster, so schnell, daß ich beinah umgekippt wäre, als ich mich in meinem Drehstuhl hinter ihm herdrehte.
    Draußen glitzerte die weihnachtlich

Weitere Kostenlose Bücher