Gefallene Engel
den Kopf.
»Und in Vest-Agder?«
»Da?! Da heiraten sie nur untereinander. Ich bin froh, von dort weggekommen zu sein, nach nur zwei Jahren. Es war ein Leben wie in einem Käfig, Veum. Ich habe noch nie erlebt, daß so viele Menschen einander so intensiv überwachen, jeden Schritt, den der andere tat, Gemeindemitglied oder nicht. Es gab da ein paar Kämpfe um den Religionsunterricht in der Schule und im Kindergarten, die selbst einen konservativen Theologen wie mich zurückschrecken ließen.«
»Du gehörst also zu den jungen und konservativen?«
»Ja!« rief er aus, mit einer neuen Leidenschaft. »Glaube und Religion sind etwas zu Ernstes, um damit oberflächlich zu liebäugeln, um Kompromisse einzugehen, um sie an demokratischen Richtlinien zu messen. Dann lieber Trennung vom Staat, der seine eigenen Regeln und Gesetze schafft. – Denn ich kann nicht die Gesetze eines weltlichen Staates zu meinen machen. Deshalb habe ich immer verbissen für die Rechte des ungeborenen Lebens gekämpft, gegen das Abtreibungsgesetz und seine Verfechter.«
»Aber Feldgeistlicher konntest du sein – und damit deinen Segen geben, wenn erwachsenes Leben geopfert wurde?«
»Diese Diskussion habe ich hinter mir, seit ich in Oslo war, Veum. Du weißt, die Salonradikalen dort, mit einer Moral aus den 30er Jahren, die gegen Pfarrer, aber für weibliche Pfarrer sind, gegen Krieg, aber für Abtreibung – alles, was sie denken, hat weder Hand noch Fuß.«
»Aber wenn du dasselbe denkst, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, zäumst du dann nicht einfach nur das Pferd von hinten auf?«
»Aber ich habe Gottes Wort im Rücken, jahrelange theologische Studien hinter mir – Schriftstudien, für die sich die Leitartikelschreiberlinge der Osloer Zeitungen niemals Zeit nehmen würden …«
»Nun ist es ja nicht nur …«
»Wir haben eine Periode mit viel zu vielen leeren Worten und viel zu wenig Leidenschaft durchlebt, Veum. Auch unter Pfarrern. Die Liturgie ist zu leeren Phrasen geworden, alles ist zu sozialdemokratischen, auf Bokmål {10} formulierten Fast-Standpunkten abgerundet worden, die Pfarrer sind Bürokraten und Angestellte geworden und sind nicht mehr Gottes leidenschaftliche Wanderer auf Erden, Prediger, die den Herren preisen. Sie stehen auf ihrer Kanzel wie eine Art Steuerbeamte, die Einnahmen und Ausgaben in deiner Steuererklärung zählen, um dir dann Steuernach- oder Rückzahlungen zu bescheren. Sie sind Gottes Buchhalter und nicht seine Missionare.« Mit einem resignierten Seufzer fügte er hinzu: »Und sie sprechen ja auch größtenteils vor leeren Bänken.«
»Und das tust, streng genommen, wohl auch du?«
»Doch ja. Aber so wie ich mein Christentum lebe, habe ich auch an anderen Orten Versammlungen. Ich gehe nicht nur in Altersheime und Krankenhäuser. Ich suche die jungen Menschen dort auf, wo sie sind, in Jugendclubs und Snackbars, auf der Straße. Ich besuche die Schulen, die Kindergärten, sehe es als eine Lebensaufgabe, dem Herren zu dienen. Ansonsten hat man ja hierzulande das beklemmende Gefühl, daß Gott feste Bürozeiten hat, sonntags von elf bis eins, und sonst nur nach vorheriger Absprache empfängt. An den anderen Tagen sind die Kirchen verschlossen wie Außenposten in einem gottlosen Territorium. Wenn jemand hereinschauen möchte, findet er die Kirchentür verschlossen vor. Das ist das Erbe des Puritanismus’ in der protestantischen Kirche. Das, was wir auf dem Weg weg von der Mutterkirche verloren haben.«
»Und da denkst du an die katholische?«
»Ja, da denke ich an – den Unterschied, den niemand übersehen kann, auch wir Pfarrer nicht, wenn man eine kleine katholische Kirche zur Mittagszeit besucht, sagen wir irgendwo in Frankreich, durch die offene Tür tritt, all die brennenden Kerzen sieht, vor den Heiligenbildern, alle Menschen im Gebet, die Priester, die ihre kryptischen Liturgien aufsagen, auf Latein, in einer Tradition, die – sozusagen – so alt ist wie das Christentum selbst. Das Ur-Christentum!«
»Und das erklärst du doch wohl auch deinen Kollegen?«
Er stand da, die Hände vor dem Bauch und dem Unterleib gefaltet. »Ja! Wir sind eine Gruppe jüngerer Pfarrer, die sich in höherem Maße als Fundamentalisten erlebt als diejenigen, die die Kirche im letzten halben Jahrhundert beherrscht haben. In dem Sinne, daß wir zu den Ursprungstexten zurückgehen, zu Jesus, Jakobus und Paulus, versuchen zu praktizieren, was wir als ein ursprüngliches Christentum erleben, das die Kirche
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