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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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selbst später mit korrumpiert hat – sowohl die katholische als auch die protestantische! Aber damit müssen wir auch unpopuläre Standpunkte einnehmen.«
    »Ja, wir lesen ja ständig von euch – oder von einigen von euch – in den Zeitungen.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Es gibt auch innerhalb unserer Richtung graduelle Unterschiede. Einige haben mehr Sinn für Eigenreklame als andere. Einige von uns ziehen es vor, mehr im Stillen zu wirken. Gute Taten vollbringen. Ein … reines Leben führen.« Etwas überzog sein Gesicht wie der Schatten eines Vogels, der vorbeiflog.
    »Und das ist der Grund, warum du …«
    »Aber oft ist es, wie in ungepflügte Erde zu säen!« unterbrach er mich. »Es ist, als hätte das ganze Volk im Laufe dieses Jahrhunderts den Kontakt zu diesem Teil von sich selbst verloren, als ob der Rationalismus und die Wissenschaft und alle Anforderungen an Logik und Verstand die Macht in den Gedanken der Menschen übernommen hätten – bis wir jetzt, zur Jahrtausendwende hin, vage eine neue Sehnsucht nach dem Unerklärlichen erkennen können, eine Form von …« Er unterbrach sich selbst und richtete plötzlich einen langen, blassen Zeigefinger auf mich. »Du, zum Beispiel, Veum. Wenn ich dir mal eine direkte Frage stelle … Was für eine Beziehung hast du zum Christentum? Hattest du als Kind einen Glauben, auf den du aufbauen kannst?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich hin in einer unreligiösen Familie aufgewachsen. Das war etwas, worüber bei uns zu Hause nie gesprochen wurde. Es kam schon vor, daß meine Mutter einen Psalm summte, während sie Staub wischte oder über den Essenstöpfen in der Küche stand, aber im großen und ganzen war sie überhaupt nicht die Frau, die sang. Sie blieb früh allein. – Und wir folgten dem Strom in die Kirche und wieder nach Hause, zu Weihnachten oder wenn jemand heiratete. Ich wurde sogar konfirmiert. Aber mein Vater hätte noch eher Thor und Odin ein Opfer gebracht, als der Jungfrau Maria eine Kerze anzuzünden. Er hatte eine etwas ungewöhnliche Beziehung zu Nordischer Mythologie.«
    Er hob resigniert die Arme. »Da siehst du es. – Brachland.«
    »Aber«, sagte ich, und nun war ich kurz davor, selbst auch aufzustehen, »in meiner Lebensphilosophie liege ich, würde ich tippen, der Lehre Jesu, um nicht zu sagen Franz von Assisis, näher als viele selbsternannte Christen, die ich kenne. Die soziale Botschaft und das Engagement des Christentums kann ich noch heute unterschreiben. Viele in der Heilsarmee sind, buchstäblich, meine Kollegen. Gottes Privatdetektive auf Erden, wie du es vielleicht gesagt hättest. – Zum christlichen Glauben habe ich ein etwas problematischeres Verhältnis.«
    »Aber …«
    »Aber«, unterbrach ich ihn, »wir leben in einer Zeit, die förmlich um eine Bekehrung bittet. – Du hast es selbst erwähnt. Die Jahrtausendwende. Denn eine Jahrtausendwende ist ein wichtiger Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte, und in dem Jahrzehnt bis dahin wird viel geschehen. Denn solche Wendepunkte schaffen Angst. Plötzlich stehst du da, nackt, während sich ein neues und unbekanntes Jahrtausend vor dir ausbreitet. Und wenn der Mensch Angst fühlt, dann sucht er nach einer Sicherheit außerhalb seiner selbst. Manche geben dieser Sicherheit den Namen Gott. – Und das hilft.«
    »Du glaubst also nicht an Gott, Veum?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich glaube weder, noch glaube ich nicht. Ich habe mir immer erlaubt, zu den Skeptikern auf dieser Welt zu gehören. Aber ich glaube an den Glauben an sich. Ich glaube an das innere Bedürfnis des Menschen, etwas zu haben, an das er glauben kann, etwas außerhalb seiner selbst, etwas vor und nach dem Tod. Und an das Bedürfnis nach Ritualen. Auch ich bin gerührt, wenn ich die kirchlichen Rituale erlebe: Kindstaufe, Hochzeit und Beerdigungen. Auch ich werde ergriffen, wenn unisoner Psalmengesang die Gewölbe erfüllt.«
    »Aber das ist nur Sentimentalität. Was ist mit den großen, den sogenannten großen Fragen im Leben? Wie ist das Leben entstanden? Was ist der Sinn des Lebens? Wohin gehen wir?«
    »Von Erde bist du genommen, zu Erde sollst du …«, murmelte ich leise. Lauter sagte ich: »Das ist es ja, was ich sage. Alle Menschen, auf der ganzen Welt, haben immer das Bedürfnis gehabt, auf genau solche Fragen eine Antwort zu bekommen. Und sie haben den Antworten einen Namen gegeben. Bei uns heißen sie Gott und Jesus, in anderen Religionen haben sie andere Namen. Ich kann nicht sehen, daß

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