Gefallene Engel
geschmückte Stadt mit all ihrem kalten Glanz. Die Berge lagen dunkel und nackt da. Nur ganz oben auf dem Plateau und um den Fernsehmast auf Ulriken herum lag ein dünner Schleier von Schnee wie der Staub zerbröselter Sterne.
Berge Brevik hob dramatisch die Hand. »Wenn ich die Stadt sehe, an einem Abend wie diesem, weißt du, was ich da sehe, Veum«
»Nein, was denn?«
»Es ist fürchterlich, aber es ist ein Bild, das mich verfolgt. Ich sehe die Stadt, vierzehn Tage nach dem Jüngsten Gericht, ausgebombt und leblos. Oben in einigen Ruinen am Berghang erkennst du vielleicht noch ein paar Wochen den flackernden Schein von ein paar Lagerfeuern, die die Überlebenden angezündet haben. Dann verschwinden auch sie, und ein finsteres Dunkel liegt über der Landschaft, bis es zu schneien beginnt, im August. Kohlschwarzer Schnee, der alles bedeckt.«
Seine Stimme machte einen Satz, als er endete: »Da ist es gut zu wissen, daß du einen Platz hast in der Herde, die sich zu Füßen des Herren versammeln wird, Veum! Da ist es ein sicheres Gefühl, zu wissen, daß du ins Licht heimkehren wirst, zu einem Vater, der dich empfängt, und einer ewigen Ruhe im Schoße Jesu Christi!«
»Nicht wahr?« fügte er hinzu, nach einer kleinen Pause. Als sei er trotz allem doch nicht ganz sicher, daß es so sein würde.
Dann ging er zum Garderobenständer, zog sich den Mantel an, legte sich den Schal um den Hals und stand da, mit einer Strickmütze in der Hand. »Danke fürs Zuhören, Veum. Wenn du selbst eines Tages Trost suchen solltest, dann weißt du, wo du mich findest.«
Er lächelte abrupt und war verschwunden.
Ich saß da und sah den Berghang hinauf. Noch war kein einziges Lagerfeuer zu sehen. Aber die Prophezeiung war deutlich genug gewesen, und man mußte nicht an Gott glauben, um zu erkennen, daß sie durchaus in Erfüllung gehen konnte.
In der Zwischenzeit hatten wir alle unsere Aufgabe auf der Erde. Es waren noch immer Fragen zu stellen, immer noch Antworten, nach denen man im Dunkeln suchen mußte.
Ich konnte nach und nach die Konturen des Musters erkennen. Diejenige, die mir würde helfen können, es ganz deutlich zu sehen, war wahrscheinlich Ruth Solheim.
Oder Jakob.
Oder Rebecca.
39
Ich klingelte unten, und Rebecca antwortete durch den Lautsprecher neben der Klingel. »Ja?«
»Hier ist Varg.«
Es wurde einen Augenblick still. Dann summte es im Schloß, und ich Öffnete.
Die grelle Deckenbeleuchtung schnitzte einen langgestreckten Schatten aus meinem Körper und klebte ihn an die Wand hinter mir. Das Treppenhaus warf ein hohles Echo zurück, als hörte ich die Schritte meines Schattens.
Rebecca hatte die Tür geöffnet und wartete auf mich, als ich oben ankam. Ihr Gesicht war blaß, der Mund schmollte. Aber sie war immer blaß gewesen. Auch nach zwei Monaten Sommerferien. Sie hatte den Sommer allerdings auch im Hardanger verbracht.
»Hei!« Ich lächelte ermunternd. »Darf ich reinkommen?«
Sie zuckte mit den Schultern und ließ mich vorbei. »Geh dort rein«, sagte sie und zeigte auf die Küche. »Helga hat – Besuch.«
Das konnte ich hören. Aus dem Wohnzimmer tönte lautes und feministisches Lachen wie nach einer geglückten Kastration. Ich ging schnell vorbei, bevor sie Männerblut witterten.
Die Küche war groß, mit einem blauweiß karierten Wachstuch auf dem Tisch, einer neuen Einrichtung in hellem Holz, grünen Keramikfliesen über dem Waschbecken und Kohlezeichnungen in schwarzlackierten Rahmen an den Wänden. Frauenporträts, schattenhaft und gedankenverloren.
Auf der Anrichte standen zwei leere Weinflaschen, und es tropfte nachdenklich aus einer Kaffeemaschine. Rebecca zeigte in Richtung Hintertreppe. »Da durch.«
Ich öffnete die Tür und kam auf eine Treppe, die zum Hof hin lag. »Die rechte Tür«, sagte sie direkt hinter mir.
Ich öffnete und ging hinein. Es war das kleinste Zimmer, das ich je gesehen hatte. Die Grundfläche konnte nicht mehr als zwölf bis fünfzehn Quadratmeter betragen. Es war Platz für ein Sofa an der Wand links von der Tür, einen Schreibtisch und einen Stuhl vor dem Fenster gegenüber, eine Kommode und ein Regal an der anderen kurzen Wand. Am anderen Ende des Raumes standen zwei Koffer, und auf ein paar Bügeln hingen Röcke, Blusen und ein Mantel.
Auf dem Schreibtisch lagen ein Haufen Schülerhefte, ein aufgeschlagenes Lehrbuch und ein englisches Wörterbuch. Auf der Fensterbank stand ein Reiseradio aus schwarzem Plastik und gab krächzend ein paar sinnlose
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