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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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gesenktem Blick und einer Stimme, die unter dem Druck der allgemeinen Aufmerksamkeit zitterte. Ihre kleinen Gesichtszüge wirkten unendlich früh erwachsen in dieser Umgebung, als sei sie der Träger von zweitausend Jahre alter Weisheit und wüßte mehr als alle wir anderen zusammen.
    »Dieses heilige Evangelium steht geschrieben beim Evangelisten Johannes, Kapitel 1, Verse 19 bis 27. – Und dies ist das Zeugnis des Johannes, da die Juden ihm sandten von Jerusalem Priester und Leviten, daß sie ihn fragten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte: Ich bin nicht der Christus. Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elia? Er sprach: Ich bin’s nicht. Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein. Da sprachen sie zu ihm: Was bist du denn? daß wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst? Er sprach: Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Richtet den Weg des Herren!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat.
    Und es kamen, die gesandt waren von den Pharisäern. Die fragten ihn und sprachen zu ihm: Warum taufst du denn, wenn du nicht der Christus bist noch der Elia noch der Prophet? Johannes antwortete ihnen und sprach: Ich taufe mit Wasser; aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennet. Der ist’s, der nach mir kommen wird, des ich nicht wert bin, daß ich seine Schuhriemen auflöse. – So lauten die Worte des Herren.«
    Ohne den Blick zu heben, ging sie hinunter und setzte sich wieder neben die Mutter.
    Als das liturgische Ritual vollzogen war und Berge Brevik auf der Kanzel stand und über die spärlich besetzten Bankreihen blickte, vibrierte es in seinem Gesicht, als sei er sich darüber im klaren, daß er selbst solch eine Stimme war, die in die Wüste hinausrief, und die Wüste waren die verwitterten, vom Alter verschlossenen Seelen, die an diesem letzten Sonntag vor Weihnachten den Weg in die Kirche gefunden hatten, in einem der Länder der Welt mit den meisten Christen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl, auf dem Papier.
    »Wir wissen alle, was der Apostel Johannes erzählt, was Johannes der Täufer in diesem Text prophezeit. Wir sitzen alle da in demselben Licht der Erwartung, hier in der Kirche, heute, am vierten Sonntag im Advent, neunzehnhundertundsechsundachtzig Jahre nach der wichtigsten Geburt in der Geschichte der Menschheit. Es war Jesus, den er uns prophezeit hat. Es war Jesus, der kam.«
    Er ließ den Blick über uns gleiten, fand mein Gesicht und ließ ihn dort verweilen. »Aber wir werden nicht das Versprechen vergessen, das er uns gab, bevor er uns verließ. Er wird wiederkommen! – Und auch heute können wir, wenn wir aufmerksam sind, Stimmen hören, die in die Wüste rufen. – Ich bin eine von ihnen. Meine Kollegen – auf der ganzen Welt – gehören zu einer Familie. Wir alle sind Nachkommen Johannes’ des Täufers auf Erden, und ihr tut klug daran, auf das zu hören, was wir euch erzählen. Denn morgen kann es zu spät sein.«
    Er bohrte seinen Blick tief in mein Gesicht und wiederholte, als sei es eine strenge, persönliche Warnung: »Morgen kann es zu spät sein.«
    Dann ließ er mein Gesicht wieder los und bewegte den Blick weiter. »Wenn ihr in dieser Weihnachtszeit durch die Stadt geht, welche Musik könnt ihr da hören? Ist es der Engelsgesang in den hohen Sternenhallen – oder das Klirren aus tausend Kassen? Wenn ihr eure Briefkästen öffnet, was fällt euch da entgegen? Hunderte von vierfarbigen Reklamesendungen für Dinge, für die ihr euer letztes Geld ausgeben sollt – oder die Botschaft von der Wiederkehr Jesus’? – Herrscht nicht ein unfaßbarer Lärm um uns herum? So laut, daß es schwer sein kann, die einsame Stimme zu vernehmen, die auf dem Markt der Stadt ihre Botschaft ausruft, der Johannes der Täufer unserer Zeit: Er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennet …«
    Er hielt sich mit beiden Händen an der Kanzel fest und hob die Stimme: »Denn vielleicht ist er schon gekommen! Vielleicht begegnest du ihm, wenn du nach dem Gottesdienst aus der Kirche trittst! Vielleicht ist er einer von denen, die dich im Bus um eine Krone bitten! Oder vielleicht siehst du ihn auf einem Plakat von Brot für die Welt, eines der äthiopischen Kinder, die sich in genau diesem Augenblick in Krämpfen winden, vor Hunger und Durst! – Und du hast ihn nicht gesehen. Denn du weißt nicht, wer er ist! – So wende dich dem Herren zu, bevor es zu spät ist! Schreibe dich ein bei Jesus, bevor er das Buch

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