Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
gelegt, wie ich sie seit der Ölkrise und den autofreien Sonntagen, soweit ich mich erinnern konnte, nicht mehr erlebt hatte.
    Die größte Nähe, die der moderne Mensch zur Schöpfung erreichen kann, ist eben an dem Tag, an dem der erste Schnee fällt. Und Gott sprach: Es werde Schnee! Und es schneite.
    Ich tappte ins Wohnzimmer, wo Thomas auf dem Sofa lag, und rief ihn aus dem Schlaf heraus. »Thomas! Wach auf! Es hat geschneit!«
    Er grunzte tief in seinem Bau, drehte sich schwerfällig auf die andere Seite und schlief weiter.
    Ich ging in die Küche, kochte Kaffee und richtete das Frühstück, umgeben von demselben intensiven Licht. Nach Laksevåg zu kommen wirkte jetzt ebenso unüberwindlich, wie auf Skiern Grönland zu durchqueren. Aber wenn Nansen das eine geschafft hatte, dann würde ich das andere schaffen.
    Eine knappe Stunde später stapften wir durch die Gasse, traten die ersten Spuren in eine neue, unberührte Wildnis, in einer Luft, die noch schwer war von Partikeln, wo allerdings die Sonne schon durch die dünnsten Teile des Gewebes schien.
    Wir gruben uns zum Auto vor, jeder von seiner Seite, stellten den Motor an und kämpften uns mit beharrlichem Vorderradantrieb den ersten Berg hinauf, fanden bis zur Hauptader bei Mulen und rutschten in die Reifenspuren des Morgenbusses, die tief waren wie die Wunden von einer zerbrochenen Liebe und ebenso unabweichlich wie ein Parteiprogramm.
    Als wir zur Torgalmenning hinaufkamen, sah ich zum ersten Mal in meinem Leben jemanden die Småstrandgate auf Skiern überqueren. Sie gingen mit Kurs auf Fløien und würden wahrscheinlich auch auf Skiern nach Hause gleiten können. Außer für Autofahrer und Räummannschaften war es für alle anderen ein märchenhaftes Vorweihnachtsgeschenk.
    Thomas verhielt sich skeptisch zu der ganzen Expedition. »Sollten wir nicht lieber da oben sein?« fragte er und sah sehnsuchtsvoll am Floienfjell hinauf, wo die Bäume wie Mönche in weißen Kutten dastanden, in einer stummen Prozession auf dem Weg zur Morgenmesse.
    »Ich muß dort mit jemandem sprechen«, murmelte ich.
    »In der Kirche?«
    Ich nickte. »Er arbeitet da, als Organist.«
    Wir überquerten den Puddefjord wie über einen gefrorenen Regenbogen, parkten den Wagen auf der Halde unterhalb der Kirche und folgten der stillen, kleinen Gruppe von Kirchgängern durch den Haupteingang hinein. Schwarzgekleidete, ältere Frauen gingen behutsam über den frisch gefallenen Schnee, als sei es vereistes Wasser und sie hätten Angst einzubrechen.
    Drinnen im Vorraum dampften wir weiß. Zwei kleine Glasmalereien empfingen uns gleich hinter dem Eingang. Die eine stellte Adam und Eva dar, die andere die Vertreibung aus dem Paradies.
    Wir gingen links ins Kirchenschiff hinein. Ein geduckter Kirchendiener gab jedem von uns mit einem schiefen Blick, der uns sagte, das er sich fragte, wer wir waren, ein Gesangbuch. Wir gehörten jedenfalls nicht zu den ständigen Gästen.
    Es war zwei Minuten vor elf. Ich warf einen Blick nach oben auf die Galerie. Jakob war an seinem Platz. Er begegnete meinem Blick über der Balustrade, gab ein Zeichen, das andeutete, daß er überrascht war, uns zu sehen, und nickte, als ich ein Zeichen gab, daß ich hinterher mit ihm sprechen wollte.
    Dann wandte er seine Aufmerksamkeit der Orgel zu.
    Die letzten Menschen trollten sich auf ihren Platz, insgesamt waren es ungefähr fünfzig. Achtzig Prozent waren oder würden bald pensioniert. Ein paar Familien mit kleinen Kindern und ein paar, die, wie ich annahm, Konfirmanden waren, glichen die Statistik ein wenig aus. Unter ihnen sah ich Sissel Solheim und ihre Mutter, Anita.
    Als das Preludium angestimmt wurde, betrat Berge Brevik den Altarraum, in Weiß und Lila, mit erhobenem Kopf und einem schnellen Seitenblick auf uns hinunter, wie um sich zu versichern, ob überhaupt jemand da war.
    Auf der Empore sorgten die Vorsänger dafür, daß das Eröffnungslied das nötige Rückgrat erhielt: » Komm, König, komm im Morgenglanz, zieh deiner Siege Bahn … «
    Thomas neben mir stimmte mit Stimmbruchstimme ein. Ich selbst fand den Ton erst irgendwo in der zweiten Strophe: » Komm herrlich, wie wenn’s Himmels Sonn in goldner Glut erwacht, und nicht, wie da du ehemals kamst, zu Spott und Kampf und Tod … «
    Zwei der kleinen Kinder traten vor und zündeten die vier Kerzen auf dem Adventskranz an, und ein neues Lied wurde gesungen: » Macht hoch die Tür, die Tor macht weit … «
    Sissel Solheim las den Text des Tages, mit

Weitere Kostenlose Bücher