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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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der Abendröte aufschlägt, um zu sehen, ob er dort deinen Namen findet. – Laß dich nicht dazu verleiten, zu glauben, daß Weihnachten eine andere Botschaft hätte als diese eine: Jesus kam – einmal. Und Jesus kommt – wieder …«
    Ich sah mich vorsichtig um. Die Botschaft schien anzukommen. Die Alten, die schon die Abendröte die Wangen färben spürten, waren bereit, auf die Knie zu fallen. Die Jungen sahen mit hingerissenen Blicken auf den redegewandten Prediger, und selbst in meinem eigenen, verhärteten Herzen spürte ich eine Sehnsucht, mich zu ergeben.
    Aber es waren nicht wir, zu denen er reden sollte. Nicht wir waren die wirkliche Wüste.
    Er hätte draußen auf der Hauptstraße stehen und den Verkehr anhalten sollen. Er hätte sich in den großen Warenhäusern und den Einkaufszentren aufstellen und verlangen sollen, dort zu Wort zu kommen. Aber wenn er es getan hätte, hätten sie ihn, fürchte ich, zu Tode getrampelt und wieder einmal nach Barabbas verlangt, und eine Kassendame-Salome hätte seinen Kopf auf einem Teller gefordert und als Bonus auf den Lohnabrechnungen für Dezember aufgeführt.
    Und als unsere Blicke sich wieder begegneten, bevor er von der Kanzel herabstieg, sah ich, daß er es wußte, daß er dagestanden und an genau dasselbe gedacht hatte: daß er für so offene Ohren geredet hatte, daß die Botschaft durch sie hindurch- und auf der anderen Seite wieder hinausging.
    Das letzte Lied verklang: Während Frost und Winterdunkel herrschen – fängt das neue Jahr der Kirche an, und unsere Sinne öffnen sich dem Licht, das siegreich durch das Erden dunkel bricht …
    Als der letzte Ton des Postludiums noch als ein spröder Widerhall in den braunen Wänden hing, erhoben wir uns.
    Ich richtete es so ein, daß ich im Mittelgang auf dem Weg nach draußen neben Sissel und Anita Solheim ging, grüßte vorsichtig und fragte: »Sagt mal … Ruth. Habt ihr was von ihr gehört?«
    Anita Solheim sah mich irritiert an und schüttelte den Kopf. »Sie ist wohl da draußen, in Lindås!«
    »Und du?« fragte ich Sissel.
    Sie sah mich mit ihrem kleinen Gesicht an und errötete. N-nein.«
    »Sie ist nämlich nicht mehr da draußen«, fügte ich hinzu.
    »Nein!« rief Anita Solheim aus, mit einer plötzlichen Angst im Gesicht.
    »Nein«, sagte ich leise. »Und ich dachte, sie hätte sich vielleicht gemeldet … vor Weihnachten.«
    Wir waren bei Berge Brevik angekommen, der am Ausgang stand und der Gemeinde die Hand gab.
    »Nochmals – vielen Dank«, hörte ich sie sagen, als Antwort auf sein mitfühlendes Lächeln.
    Sissel lächelte er munterer an und sagte: »Danke für die Lesung, Sissel. Es war sehr schön. – Hast du auf deinem Bogen alles beantwortet?«
    Sie sah auf ihren Konfirmationsbogen, den sie in der Hand hielt, und lächelte stumm.
    Er klopfte ihr auf die Schulter und ließ sie passieren.
    »Veum …«, sagte er zu mir, mit einem ironischen Funkeln in den Augen. »Ein seltener Gast.«
    »Ich wollte mit Jakob sprechen.«
    »Aber du bist jederzeit wieder willkommen. – Und das ist …«
    Er wandte den Blick zu Thomas.
    »Mein Sohn, Thomas.«
    »Freut mich«, sagte Berge Brevik, lächelte unverbindlich und ließ uns weiterziehen mit dem Strom.
    Ich nickte zur Tür, die zur Empore führte, und Thomas folgte mir nach oben.
    Jakob war schon angezogen, trug einen graumelierten Wintermantel, einen beige und pflaumenroten Schal um den Hals und hielt eine braune Strickmütze mit orangem Muster in der Hand. Unter dem Arm hatte er eine schwarze Aktentasche, sah fragend Thomas an und begrüßte mich hastig.
    »Ich habe keine Zeit, mit dir zu reden, Varg«, sagte er. »Ich habe den Kindern versprochen …« Er nickte zum Ausgang.
    »Ich verstehe. Ich wollte dich nur fragen … Bist du immer noch nicht bei Vadheim gewesen, mit dem Brief?«
    »Nein«, sagte er leichthin. »Ich nehme es nicht so ernst.«
    »Warum nicht? – Weil du sie selbst geschrieben hast?«
    Er blieb stehen und sah mich an. »Wa-was meinst du? Sie selbst geschrieben? Warum sollte ich so was schreiben – und es an mich selbst schicken?«
    »Um zu verdecken, daß du es warst, der entsprechende Briefe an die anderen geschickt hat – vielleicht?«
    »Sag mal – ist das dein Ernst, Varg?«
    Ich behielt ihn im Auge. »Nicht unbedingt. Aber es ist eine Möglichkeit, die mir nicht aus dem Kopf geht. Besonders weil du so unwillig bist, damit zu Vadheim zu gehen.«
    »Also ehrlich, Varg, ich kann nicht einsehen …«
    Ich trat dicht an ihn

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