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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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verbringen. Am ersten und zweiten Weihnachtstag sollte er bei mir sein.
    Ich ließ ihn aussteigen und sah zum Haus hinauf. Beate stand wie eine Statue im Wohnzimmerfenster, von einer riesigen Lichtfläche eingerahmt und scheinbar verkleinert durch die große Glasfläche. Ich blinkte mit den Scheinwerfern und winkte zu ihr hinauf, und sie legte das Gesicht an die Scheibe und winkte matt zurück wie zu einem Schiff, das schon längst abgelegt hatte.
    Ich wendete langsam den Wagen und fuhr zurück in den Sandviksvei, um auf die Ausfahrtstraße nach Åsane zu kommen. Die gelbe Straßenbeleuchtung zog mich wie ein magisches Licht durch die Tunnel und auf der anderen Seite wieder heraus. Åsane lag wie ein Astrid-Lindgren-Land da und wartete auf mich. Sogar in Weihnachtsverpackung war der Stadtteil eine schwedische Provinz.
    Ich parkte den Wagen vor dem Terrassenblock, in dem Belinda Bruflåt wohnte. Ich sah hinauf zu ihrer Wohnung. Am mittleren Wohnzimmerfenster leuchtete ein Weihnachtsstern. Vor der Wand dahinter sah ich einen Schatten sich bewegen, flüchtig, wie eine Schneeflocke auf der Wange. Also war jedenfalls jemand zu Hause.
    Aber als ich bei ihr klingelte, reagierte niemand.
    Ich klingelte einmal, zweimal, dreimal.
    Keine Reaktion.
    Ich klopfte an die Tür und legte das Ohr dagegen.
    Nichts.
    Ich klopfte stärker, legte den Mund an den Türspalt und rief: »Ich bin’s, Veum. Laß mich rein! Wenn nicht, bin ich gezwungen, zur Polizei zu gehen!«
    Ich klopfte wieder. »Hast du gehört?«
    Ich legte das Ohr wieder an die Tür.
    Hörte ich jetzt einen Laut?
    Ja.
    Auf der Innenseite der Tür schabte Metall.
    Dann ging das Schloß. Die Tür wurde einen schmalen Spalt geöffnet, und Belinda Bruflåt spähte zu mir heraus, über eine solide Sicherheitskette.
    Das letzte Mal hatte ich sie fast nicht wiedererkannt, weil sie so ganz normal aussah. Dieses Mal erkannte ich sie fast nicht wieder, weil jemand die Behauptung mit der schwedischen Provinz ernst genommen und in ihrem Gesicht die blau-gelbe Flagge gehißt hatte.
    Ihre Lippen waren geschwollen, der Mund schief, die Augen zugeklebt und ihr ganzes Gesicht von blauen Flecken und blutenden Stellen übersät. Ihr Haar war naß, und sie trug einen silbergrauen Morgenmantel aus Frottee.
    Sie spähte mir scheinbar kurzsichtig durch die schmalen Augenschlitze entgegen, und ich hob ihr meine leeren Hände entgegen, wie um zu zeigen, daß ich friedlich gesinnt war. »Kann ich reinkommen?« fragte ich mit dünner Stimme.
    Sie sah mich an, als brauchten die Worte lange, um sie zu erreichen. Dann nickte sie schwach, schloß die Tür wieder, hängte die Sicherheitskette aus und machte wieder auf. Aber auch dieses Mal öffnete sie die Tür nicht ganz weit, als hätte sie Angst, daß ich jemanden bei mir hätte.
    Drinnen in dem kombinierten Eßzimmerflur sagte ich: »Ich habe versucht anzurufen, aber – es hat niemand abgenommen.«
    Sie faßte sich ans Haar. »Ich hab’ gelegen – und wollte ein Bad nehmen.« Als hätte sie die letzten Tage in der Badewanne verbracht.
    »Was ist passiert? Wer hat das mit dir gemacht?« Ich berührte mit einer Hand flüchtig ihr Gesicht, als würde schon die kleinste Bewegung ihr Schmerzen verursachen.
    Wieder entstand eine lange Pause, bevor sie antwortete. »Das … Ich … Das war ein Mißverständnis.«
    »Ein Mißverständnis? Aber ein nicht gerade kleines?«
    Sie antwortete nicht.
    »Hast du es angezeigt?«
    Sie schüttelte den Kopf, langsam.
    »Und bist beim Arzt gewesen?«
    »Es ist nicht so schlimm, wie – es aussieht.«
    »Aber wer war das?«
    »D-d-das war was Privates. Das geht dich nichts an.«
    »Nein? Erinnerst du dich, was mir passiert ist, als ich das letzte Mal hier bei dir war? Draußen im Treppenhaus? Vielleicht geht es mich doch etwas an, Belinda!«
    Sie runzelte die Stirn. »Nnjaaa … Vielleicht.«
    »Es muß – nach der Beerdigung passiert sein?«
    Sie nickte.
    »Hat er dich nach Hause gebracht, hinterher?«
    Sie wandte den Kopf ab, wie vor Schmerzen. Dann nickte sie.
    Ich fühlte, wie sich eine plötzliche Hitze in meiner Magengegend ausbreitete. »Und dann?«
    »D-d-dann sagte er … daß jetzt, wo Johnny t-t-tot war und bb-be …«
    Ich wartete. »Ja? – Begraben.«
    »… da konnte ich ihm … da könnte er kriegen, was er glaubte, das Johnny gekriegt hatte … Aber ich sagte …«
    »Ja?«
    »Daß das nicht ging. Daß nicht mal Johnny …«
    Ich nickte. »Und das glaubte er nicht?«
    »N-nein.«
    Behutsam sagte

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