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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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einer plötzlichen Mischung von Wehmut und Unbarmherzigkeit.
    »Nein«, sagte ich. »Du hast recht.« Auf dem Weg zur Tür murmelte ich: »Die Liebe ist eine …«
    »Ja, das kenn’ ich jetzt!«
    Ich nickte und öffnete die Tür. Auf der Schwelle drehte ich mich um und sah sie ein letztes Mal an. »Mach’s gut, Rebecca.«
    »Mach’s gut, Varg. Komm mal vorbei und besuch uns, wenn dir danach ist.«
    »Ich glaube nicht, Rebecca. Ich glaube nicht.«
    Ich schloß die Tür hinter mir, mit dem Gefühl, die Tür hinter dem größten Teil meines Lebens zu schließen.
    Und ich war immer noch nicht fertig.
    Ich hatte noch eine Reise zu machen.

48
    Auch bei Anita Solheim roch es nach Weihnachtsbäckerei. Sie kam an die Tür wie eine verschmähte Weihnachtsfrau, in einem roten Pullover, mit braunen Baumwollhosen und einem unverkennbaren Hauch von weißem Curacao um sich.
    »Ja?« sagte sie hitzig. »Was ist denn jetzt wieder?«
    »Kann ich reinkommen?«
    Sie sah an mir vorbei, wie um zu sehen, ob wir zu mehreren wären, oder ob die Nachbarn verfolgten, was passierte. »Worum geht’s denn?«
    Ich sprang mitten hinein. »Du hast die Mitteilung erhalten, daß Ruth verhaftet ist?«
    Sie wurde grau im Gesicht. »N-nein?« Dann trat sie zur Seite und ließ mich ein. »Weswegen denn?« sagte sie, während ich an ihr vorbeiging. »Wieder Stoff? Und ich hatte gedacht …?«
    Wir blieben in dem kleinen Vorraum stehen. Der Keksgeruch war jetzt stärker. Dafür wurde der Likörgeruch schwächer.
    »Nein«, sagte ich. »Sie wurde verhaftet wegen – des Mordes an deinem Mann.«
    »Ruth? Johnny? – Das kann nicht sein …«
    »Willst du dich nicht setzen? Ist es nicht an der Zeit, die Karten offen auf den Tisch zu legen?«
    Sie nickte und öffnete die Tür zum selben Kellerzimmer wie beim letzten Mal. Sie machte die grelle Deckenlampe an und setzte sich schwer auf einen der Stühle. Es war ein unwirtlicher Raum. Er erinnerte mich an einen Leichenkeller.
    »Bist du allein?«
    Sie nickte. »Sissel ist beim – Pfarrer.«
    »Bei – Berge Brevik?«
    Sie sah auf. »Ja.«
    »An einem Montag? Tut sie das öfter?«
    Sie sah sich hilflos um. »Ich weiß nicht. Sie sagte nur, als sie ging, daß sie dorthin wollte. Warum fragst du? Ist was besonderes mit – Brevik?«
    Ich sagte leichthin: »Nein, nein. Ist sie schon lange weg?«
    »Eine halbe Stunde. – Erzähl’ mir von Ruth. Wann ist sie …«
    »Verhaftet worden? Gestern abend. Zu Hause in ihrem Appartement. Sie war schon mehrere Wochen in der Stadt.«
    »Mehrere Wochen? Und ich …«
    »Und du hattest versucht zu vergessen, daß sie überhaupt existierte?«
    »Das hab’ ich nicht gemeint.«
    »Warum hast du mir nicht erzählt, daß sie Jakobs Tochter ist?«
    Sie sah mich an, und ihr Gesichtsausdruck war flach und verbittert.
    »Wer hat dir das …? Das geht niemanden …! Was hat das mit der Sache zu tun?«
    »Ziemlich viel, mittlerweile. Wie es aussieht. – Ich habe dich jedenfalls gefragt, was für eine Beziehung du zu Jakob hattest.«
    »Hatte, ja! Damals – vor hundert Jahren! 19 … 61. Was hat das mit alledem zu tun? Es ist einfach nur passiert. Eine – Sternschnuppe.« Sie machte eine herabschwebende Bewegung mit der Hand. »So. Und dann – war es weg.« Sie schob die waagerechten Handflächen auseinander und zeichnete einen leeren Horizont. Kein Schiff zu sehen. Nicht mal ein weit entferntes Segel.
    »Aber diese Sternschnuppe – die hatte jedenfalls ein höchst konkretes Resultat?«
    Sie zischte: »Du verstehst überhaupt nichts. Du kennst mich nicht – wie ich damals war!«
    »Ach nein?«
    Sie betrachtete mich milder. »Etwa doch?«
    »Wer kann schon vergessen …«
    Sie sah mich resigniert an. »Jedenfalls war ich nicht – so wie jetzt.« Die sprechenden Hände glitten ziellos an dem schweren Körper hinunter. »Ich war prall – überall – und die Jungs in der Straße waren wie der Teufel hinter mir her. Das ist wahr.«
    »Ich weiß. Ich erinnere mich an dich.«
    »Sowohl Jakob als auch Johnny machten mir den Hof. Ich glaub’, ich war so ’ne Art – Trophäe – um die sie konkurrierten. Und der Johnny siegte, dachte er. Aber das war, weil Jakob ihm das Feld überlassen hatte. Weil Jakob und ich … Und nichts wußte er – Johnny –, als er da lag und die Früchte des Sieges genoß, davon, daß Jakob vor ihm von ihnen gekostet hatte. – Es war genau wie in dem dänischen Lied: Es war in Fredriksberg, es war im Mai … «
    »In Fredriksberg?«
    Sie nickte. »Mhm.

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