Gefallene Engel
lächelte.
Darüber lachten sie unglaublich lange, und Kari verdrehte die Augen und warf den Kopf hin und her. Also nannten wir sie den Rest des Abends Kåre, und jedesmal wieder kicherten sie wohlwollend.
Auf der Bühne war Bella Bruflåt dabei, den zweiten Teil ihres Auftritts an diesem Abend zu beenden. Jetzt war sie niedergekniet, mitten auf der Bühne. Es sah immer noch so aus, als würde sie fast das Mikrophon verschlucken, wenn sie es an den Mund hob und sang, und während der Instrumentalübergänge hielt sie es ganz unten zwischen den Beinen, halb aufgerichtet, und mit dem Kopf rhythmisch gegen ihr schwarzes Lederdreieck schlagend.
Ich war überzeugt, daß nicht ein einziges Mikrophon im Raum unberührt blieb. Die Leute reckten die Hälse so lang, es ging, und wurden feucht und warm an den unbeschreiblichsten Stellen.
Gro warf einen verstohlenen Blick zu Jakob und sagte: »Mensch, die zieht aber wirklich jedes Register, was?«
Jakob nickte. Kari sah nach unten, aber die hellen, fast durchsichtigen blauen Augen ließen nicht von Bella Bruflåt, bis der letzte Ton gestorben und sie wieder in die Unterwelt hinabgestiegen war. Die Band konnte es sich sogar erlauben, eine Pause zu machen. Es wäre gesundheitsschädlich gewesen, die Leute nach dieser Nummer tanzen zu lassen. Sie mußten Zeit bekommen, um sich wieder zu beruhigen.
»Wer war denn der Baßgitarrist?« fragte ich Jakob.
»Stig? Erinnerst du dich nicht an ihn? Stig Madsen.«
»Ach der, ja! Ich war nicht sicher«, sagte Gro. Kari lächelte vage.
»Er war Sänger bei den Badboys«, fuhr Jakob fort. »Eine Zeitlang unsere Hauptkonkurrenten. Er und Johnny kämpften sozusagen jeder auf seiner Seite des …« Sein Blick glitt über die beiden Frauen. »… Publikums. Die einen mochten den Johnny, die anderen den Stig.«
»Und dann gab’s noch die, die dich mochten«, sagte Gro, mit hektischen Rosen auf den Wangen, und der glatte Goldring, den sie am Ringfinger der rechten Hand trug, glitzerte.
»Aber das war, bevor ich den Bart hatte, stimmt’s?«
Sie zupfte ihn zärtlich am Bart. »Danach auch.«
Ich fühlte mich noch immer wie das fünfte Rad am Wagen. Ich sah auf Karis rechte Hand. Ein schmaler Ring mit einem hellblauen Stein. Das konnte alles und nichts bedeuten.
Sie sah zu mir auf. Dann sagte sie vorsichtig: »Hast du nie in einer Band gespielt?«
»Nein. Nur Klavier. Aber ich bin nie über Für Elise hinausgekommen.«
»Das ist doch hübsch«, sagte sie und lächelte.
»Wo in Landås kommst du her?« fragte ich, um von etwas anderem zu sprechen.
»Erleveien«, sagte sie, so wie nur Bergenser Errrleveien sagen können.
Stig Madsen stand plötzlich an unserem Tisch, mit einem schäumenden Halben in der einen Hand und einem verlorenen Lächeln in der anderen. »Sieh einer an. Man hat sich schon gepaart? Ist noch Platz für einen alten – Rivalen?«
Gro setzte sich näher zu Jakob, zog die Schultern zusammen und sagte: »Wo ein Wille ist …«
Stig Madsen hob einen Stuhl über einen Nebentisch und zwängte sich an die Tischkante. »Genau wie in alten Tagen, was?«
Er sah sich um, gab den Mädchen die Hand. »Hallo – hallo.«
»Gro.«
»K-Kari.«
Dann sah er mich an, forschend, als müßte er sich an mein Gesicht erinnern. »Und du …«
»Varg«, sagte ich. »Veum. Aber ich glaube nicht, daß wir …«
»Ich auch nicht.«
»Ein Jugendfreund von mir«, sagte Jakob.
»Ah so. Wohl aus Nordnes«, sagte Stig Madsen. »Ich war selbst der Schrecken des Mindeveis«, fügte er hinzu. »Aber wir haben uns auch öfter in Landås rumgetrieben.« Er sah vielsagend die beiden Mädchen an.
Kari errötete. Gro holte tief Luft und zeigte Flagge. »Aber nicht vor unserer Tür.«
»Nein? – Nein, vielleicht nicht. Vielleicht war es nur eine, die so aussah.« Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Jakob zu. »Und du, Jakob – du hast endgültig die Segel gestrichen? Machst nicht mal mehr bei den Veteranentreffen mit?«
Jakob schüttelte den Kopf. »Nein. Als ich erst mal aufgehört hatte – war’s endgültig.«
»Ziemlich plötzlich, was?«
Jakob sah sich im Lokal um, wie um der Antwort auszuweichen.
Stig Madsen beugte sich über den Tisch. »Ich muß sagen, ich war ziemlich überrascht, dich zu treffen – da unten – beim Johnny.«
»So?« antwortete Jakob reserviert.
»Es gab ja ’nen Haufen Gerüchte damals – daß Johnny und du aneinandergeraten wärt. Und daß ihr euch deshalb getrennt habt.«
Die beiden Mädchen hörten
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