Gefallene Engel
jetzt aufmerksam zu.
Stig Madsen fuhr fort: »Es hieß, daß du und Anita …« Er hielt den Zeigefinger und den Mittelfinger der rechten Hand in die Luft, aneinandergepreßt. »Und schon im Jahr darauf waren sie geschieden.«
Er hatte kaum ausgesprochen, da schoß Jakobs Hand über den Tisch, packte ihn am Kragen, drehte die Hand herum und preßte die Knöchel von unten gegen sein Kinn. »Sag das noch mal!« zischte er. »Es ist nie etwas gewesen zwischen Anita und mir! Verstehst du? He?«
Stig Madsen nickte rasch und hob die Hände flach in die Luft. An den Tischen um uns herum reckte man die Hälse, und ein Kellner war schon auf dem Weg zu uns.
Jakob ließ Stig Madsen wieder auf den Stuhl rutschen, und er sprang augenblicklich auf.
Der Kellner hatte den Tisch erreicht. Es war ein blasser Typ mit farblosem Haar und ungefähr soviel Autorität wie ein Diakon auf einem Motorradclubtreffen. »Ist schon in Ordnung«, murmelte Stig Madsen ihm zu. »Es war meine Schuld.«
»Spar dir das«, knurrte Jakob. »Wir gehen jedenfalls jetzt.«
»Komm, nimm’s doch nicht so tragisch, Jakob! Nach all den Jahren … Ich war nur neugierig. Alle waren das. Alle sind das – die sich heute noch an euch erinnern.«
Jakob stand auf und winkte nach der Rechnung. »Es werden Gott sei Dank mit jedem Jahr weniger.« Er sah auf die beiden Mädchen hinunter. Mit überzeugender Selbstverständlichkeit sagte er: »Kommt ihr mit, Mädels? Wir gehen woandershin.«
Gro nickte. »Klar.« Sie funkelte Stig Madsen an. »So eine Frechheit! So was zu sagen.«
Kari sah geniert von einem zum anderen, bis sie endlich zu mir aufsah und lächelte – ein Lächeln, das nicht ganz so schmal war wie zu Anfang.
Ich hielt ihr meinen Arm entgegen. »Halt dich doch an mich, Kåre«, sagte ich. »Die schweigende Mehrheit.«
Mit einem nachdenklichen Ton sagte sie: »Ich habe immer die vorgezogen, die nicht einfach drauflosreden.«
Ich lächelte schief. »Dann bin ich froh, daß du mich in meinem früheren Leben nicht gekannt hast«, sagte ich und ging hinter Jakob und Gro her zur Garderobe.
Hinter uns kam gerade die Band wieder auf die Bühne. Der Nebel hatte sich gehoben, und erst jetzt sahen wir sie deutlich. Stig Madsen fiel im Alter als einziger aus dem Rahmen. Die drei anderen waren Anfang Zwanzig, chic frisiert wie Fußballspieler und glattrasiert wie Wettkampfschwimmer, sicher der tägliche Umgang von Belinda Bruflåt. Vielleicht war Stig Madsen fest bei der Band. Vielleicht war er aber auch nur dazugekommem, damit sich Johnny da oben als einziger über Vierzig nicht so allein fühlte.
Bevor wir auf die Straße hinauskamen, hatten sie die ersten Töne angeschlagen. Ich konnte an Jakobs Gesicht erkennen, daß er das gleiche dachte wie ich. Aber zwei Spatzen in den Armen waren besser als eine Taube auf der Bühne, und wo Bella Bruflåt sang, gab es nicht mal eine Aushilfsstelle im Chor für uns beide. Wir mußten mit unseren Spatzen singen.
8
Wir landeten in einem Nachtclub, der sich in einer Art riesigem Lagerraum befand, mit weißgekalkten Betonwänden, Stahlrohrmöbeln in Rot und Blau, Blumendekorationen aus Plastik und Seide, einer Theke, die eine ganze Wand deckte, mit hohen, schmalen Hockern, Stereoanlage mit Weltuntergangskapazität und einer Bühne, auf der eine grelle Lightshow die hilflosen Bewegungen der beiden aus Dänemark importierten Stripperinnen einpackte. Sie tanzten zu mitgebrachter blecherner Musik und waren so sinnlich wie zwei Missionare auf einer Methodistenversammlung. Nachdem wir vorher Bella Bruflåt erlebt hatten, schmeckte das hier wie schales Bier aus einem Pappbecher.
Die eine Stripperin war ein großes Bauernmädchen in rosa Verpackung. Die andere war dunkelhäutig, mit Safran gewürzt, gelb gekleidet und hatte jedenfalls Rhythmus. Sie traten jede für sich auf, mit geziemendem Abstand in der Programmfolge, und als das vorletzte Kleidungsstück fiel, wurde es mit einer Begeisterung aufgenommen, wie wenn das letzte Blatt des Herbstes an einem stürmischen Novembertag zu Boden schwebt. Aber hier fiel das letzte Blatt nie. Dafür fehlte die offizielle Erlaubnis.
»Bei der Lady’s Night war hier mehr los«, sagte Gro und kicherte. »Da hättest du die Zurufe hören sollen. Es ist irgendwie … illegaler … mit männlichen Tänzern.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Jakob.
Ich sah Kari an. »Warst du auch mit, Kåre?«
Sie wand sich zaghaft. »Ich war hier mit – Gro.« Sie warf der Freundin einen
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