Gefallene Engel
sogenannten Zweier aus den frühen 50er Jahren, am Fjellhang oberhalb der alten U-Boot-Bunker in Laksevåg. Das Haus war vertikal geteilt, mit zwei Wohnungen auf jeder Seite und einer Wohnung im Souterrain.
Ich fand seinen Namen am Briefkasten an der Gartenpforte. Auf dem Schotterweg, der zum Eingang auf der Rückseite des Hauses führte, warf ich einen Blick auf die großen Betonwände der U-Boot-Hallen, die noch immer dalagen und auseinanderklafften, wie solide Mahnmale der Baukunst der germanischen Rasse. Es war unmöglich sie anzusehen, ohne an die sechzig Kinder der Holen-Volksschule zu denken, die getötet wurden, als englische Bomber die U-Boot-Basis im Oktober 1944 angriffen. Sechzig Kinder, die nie aufwuchsen, sechzig Lebensläufe, die plötzlich unterbrochen wurden, ohne weitere Vorwarnung als das plötzliche Heulen der Fliegeralarmsirenen.
Auf der anderen Seite des Puddefjords lag die vom Krieg und Wiederaufbau verschonte Seite der Nordneshalbinsel und sah merkwürdig unbewohnt aus. Vom Kulturhaus auf Verftet an lagen die Häuser weit auseinander, und jetzt, im Dezember, war der Sonnenhang über dem Seebad menschenleer und das Seebad selbst ein grünes Geisterhaus, wo kaum eine vergessene Badehose zu finden war.
Ich trat in ein dunkles Treppenhaus und blinzelte auf das Namenschild an der nächstliegenden Tür. Hansen.
Ich ging die Treppe hinauf nach rechts und gelangte in die nächste Etage.
Solheim stand mit verschnörkelten Buchstaben auf einem ovalen, vergoldeten Metallschild mit abgewetztem Rand. Es sah aus, als hätte er es von zu Hause mitgebracht, und so war es auch. Ich erkannte es wieder.
In der oberen Hälfte der Tür waren kleine, matte Netzglasscheiben, und dahinter erkannte ich eine kleingeblümte Gardine. Hinter der Gardine war es dunkel.
Ich klingelte. Nach einer Weile hörte ich drinnen vorsichtige Schritte. Jemand zog die Gardine zur Seite und versuchte hinauszusehen, ungefähr auf der Höhe meines Bauches.
Dann ging die Tür einen Spalt weit auf, und aus derselben Höhe sah ein ernstes Jungengesicht zu mir herauf.
»Hei«, sagte ich und lächelte. »Ist dein Vater zu Hause?«
Er schüttelte den Kopf. Er hatte helles, glattes Haar mit Pony und feine Züge, die nicht im geringsten an die seines Vaters erinnerten.
»Und deine Mutter?«
Er nickte, noch immer genauso ernst.
»Kann ich sie sprechen?«
Er sah aus, als würde er überlegen. »Ich werd’ mal fragen.«
Dann schloß er die Tür wieder.
Ich stand da und wartete, mit einem unsicheren Gefühl im Bauch.
Dann wurde die Tür wieder geöffnet, diesmal etwas weiter. »Ja? Um was geht es?«
Die Frau, die zu mir heraussah, trug eine ockergelbe Hemdbluse und enge, blaue Jeans. Sie war ziemlich mager, mit schmalen Armen und einem hageren Gesicht. Ihr Haar hatte einen leblosen blonden Ton, und die Frisur wirkte kraftlos und ungepflegt, als sei sie lange nicht beim Friseur gewesen. Der Mund war dunkelrot nachgezeichnet, eine Farbe fast wie geronnenes Blut, und überhaupt war ihr Gesicht auffällig stark geschminkt.
Sie war möglicherweise einmal schön gewesen, aber sie sah aus, wie ein Pferd, das zu viel bergauf gescheucht worden war. Die Anstrengung hatte sie gezeichnet.
Es war unmöglich, den großen Schatten auf ihrer einen Wange zu übersehen. Sie hatte ihn, so gut sie konnte, übertüncht, aber er war noch zu erkennen.
»Eigentlich wollte ich mit Johnny sprechen. Mein Name ist Veum. Varg Veum.«
Sie sah mich mißtrauisch an. Zwischen ihren Beinen guckte der Kopf eines Zweijährigen hervor, und aus der Wohnung hörte ich wilde Schreie, die von einem Zusammenstoß zwischen dem Jungen, der mir geöffnet hatte, und mindestens noch einem Kind zeugten.
»Um was geht’s?«
Ich lächelte so überzeugend, wie ich konnte. »Wir sind – tja, Spielkameraden.«
Sie sah mich skeptisch an. »Na und?«
»Na ja, ich … Wo finde ich ihn, glaubst du?«
»Wie spät ist es?«
»Zwei.«
»Dann ist er sicher im Geschäft.«
»Dem Video-Verleih?«
Sie nickte.
»Wo ist das?«
»Unten im Kringsjåvei. Auf dem Weg in die Stadt.«
»Wie heißt es? Das Geschäft?«
»Ekstase«, antwortete sie und wand sich.
»Ekstase?«
»Ekstase Video! «
»Aha.« Ich holte eine Visitenkarte hervor und gab sie ihr. »Wenn ich ihn nicht antreffe, könntest du ihn bitten, sich bei mir zu melden? Meine Telefonnummern stehen hier.«
Sie sah die Karte nicht an, sondern nickte und nahm sie mit hinein, froh darüber, nicht weiter meinen Blicken
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