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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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zusammengehalten haben.«
    »Ohne euch weiter mit ihnen vergleichen zu wollen?«
    »Und dann bin ich damit rausgeplatzt.« Ein automatisches Grinsen glitt über seine Lippen wie über eine glatte Rutschbahn, und es landete denn auch auf dem Hintern. »Eigentlich hat es sich gelohnt. Seine Visage zu sehen, als er begriff, daß es wahr war.«
    »Und wann spielte sich diese erfreuliche Begebenheit ab?«
    »Ein paar Jahre später. ’83, ’84. Ich weiß nicht mehr genau. Wir trafen uns in einem Pub unten in der Stadt, ganz zufällig. Es waren auch noch ein paar andere dabei.«
    »Die alle ihre Freude daran hatten, von seiner – Demütigung zu hören?«
    Er zuckte mit den Schultern und hob die Arme, wie um zu sagen, daß es nicht seine Schuld war. Daß all die anderen zufällig da saßen.
    »Und wie reagierte er?«
    »Der Jakob? Er machte ein furchtbar langes Gesicht. Er sah den Rest des Abends aus wie ein Ameisenhaufen. Aber er blieb nicht mehr lange. Er schlich sich raus – ohne sich zu verabschieden –, kaum ’ne halbe Stunde später. Danach hab’ ich ihn übrigens nicht mehr gesehen.«
    »Und Rebecca auch nicht?«
    »Nein, Varg, nein«, sagte er, als redete er mit einem kleinen Kind. »Und in welcher Band spielst du zur Zeit? Bei den Hyperintellektuellen Hamstern?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Bei den Verhinderten Vampiren.«
    Einen Augenblick standen wir da und starrten einander an. Ich hatte plötzlich das Gefühl, als wäre ich in einem Raum voller unbekannter Menschen, und dann – am anderen Ende des Raumes – erkannte ich undeutlich ein bekanntes Gesicht: einen der schlimmsten Plagegeister meiner Kindheit.
    Johnny Solheim sah mich an und sagte: »You’re nothing but a hound dog, you’re no friend of mine.« Dann ging er zurück in die Ekstase.
    »Ach, die Geschichte kennst du also auch!« rief ich ihm nach, bevor er die Tür hinter sich schloß. »Die von James Dean und Marlon Brando«, murmelte ich zu mir selbst, als er nicht reagierte.
     
    Ich fuhr zurück ins Zentrum. Im Westen bildeten sich schwere Gewitterwolken. Es war, als wollten die Wettergötter die Berge um die Stadt herum in blaugraue Glaswolle einpacken, damit sie nicht kaputtgingen, wenn die große Entladung begann. Die Leute hasteten nach Hause, die Gesichter leer, ohne Energie, und die Hände voller Weihnachtsgeschenke.
    Ich ging hinauf ins Büro auf der Mitte des Strandkais. Als ich am Café im ersten Stock vorbeikam, zog ein Duft von Lammrippchen und gepfeffertem Steckrübenmus heraus und kitzelte mich in der Nase. Ich zwang mich tapfer, weiterzugehen.
    Ich schloß die Tür zu meinem Wartezimmer auf. Ich ließ meine Tür schon lange nicht mehr unverschlossen. Ich wollte meinen Kreditoren nicht die Chance geben, sich zu setzen, während sie warteten.
    Ich hatte die Post mit nach oben genommen. Eine Broschüre der Post erinnerte mich daran, die Weihnachtskarten frühzeitig zu schicken. Eine Mahnung vom selben Absender bat mich, die Telefonrechnung noch schneller zu bezahlen. Ich notierte mir: Weihnachtskarten kaufen nicht vergessen. In Klammern schrieb ich: 2. Dann nahm ich den Hörer ab, aber sie hatten es nicht gesperrt. Noch nicht.
    Ich hörte den Anrufbeantworter ab. Es war nichts drauf. Nicht mal ein Weihnachtslied hatte er mir anzubieten.
    Ich ging zum Fenster und sah hinaus. Die Markthändler waren dabei, einzupacken, und alle, die unten vorbei gingen, sahen furchtsam nach oben, aber nicht zu mir. Es waren die Ballons am Himmel, die sie beobachteten, dunkel und bedrohlich.
    An einem bleigrauen, glühend heißen Juninachmittag vor einem halben Jahrhundert hatte sich die gleiche Art von Wolken gesammelt, knisternde Blitze hatten den Bauch der Wolken aufgeschlitzt und Kaskaden von Regen hatten sich über die Stadt ergossen, waren gegen die Dächer geschlagen und in die Fensternischen hineingefegt, wo die Fenster wegen der Hitze offenstanden. Ich war achtzehn Jahre alt und es war ein Nachmittag voller zitternder Sexualität gewesen, und ich hatte auf ein paar gewartet, die kommen sollten. Meine Mutter war aufs Land gefahren, es lagen Bierflaschen zur Kühlung im Waschbecken, und eine von denen, die kommen sollten, war Rebecca …
    Ich sah auf die Uhr. Wenn ich Glück hatte, kam ich noch vor dem Regen nach Hause.
    Ich schloß das Büro ab, lief zum Auto und konnte gerade noch starten, bevor die ersten großen Tropfen wie Eiweiß gegen meine Windschutzscheibe fielen. Ehe ich noch Stolen erreicht hatte, rissen die Blitze die Patina von

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