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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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… im Januar dieses Jahr. Er lag im Schnee, als sie ihn fanden. War im Suff eingeschlafen.«
    »Und Harry?«
    »Wurde von einem Bus überfahren auf einem Zebrastreifen, letzten Herbst. Er ging einfach auf die Straße, bei Rot, und der Busfahrer hatte keine Möglichkeit zu stoppen. Es stand in der Zeitung.«
    »Hattest du noch Kontakt zu ihnen? Ich meine – nachdem ihr euch aufgelöst hattet?«
    »Nicht viel. Wenn wir uns trafen, haben wir ein bißchen geredet, aber das war selten. – Der Harry wohnte bei seiner Mutter, bis sie vor ein paar Jahren erst ins Pflegeheim kam. Er arbeitete noch im selben Eisenwarengeschäft, in dem er immer schon gewesen war. Im Lager. – Der Arild ist ziemlich heruntergekommen. Eine Zeitlang arbeitete er in einem Musikgeschäft, schrieb ein bißchen für die Zeitung – er hatte ja studiert. Wechselte die Mädchen wie in alten Zeiten, war immer dabei, wenn wo gefeiert wurde. Am Ende wurden die Mädchen weniger und die Flaschen mehr, hatte ich den Eindruck. Wenn ich ihn auf der Straße traf, pumpte er mich immer an.« Er sah unbewegt in das halbvolle Milchglas hinunter. »Nach und nach hab’ ich mir angewöhnt, ihm aus dem Weg zu gehen.«
    »Aber ist das nicht seltsam, nachdem ihr so viele Jahre so dicke miteinander wart, plötzlich so aneinander vorbeizulaufen? Hatten denn die drei anderen auch keinen Kontakt mehr untereinander?«
    »Ich glaube nicht.« Er sah sehnsüchtig vor sich hin. »Die letzten Jahre, als wir noch zusammen gespielt haben, haben wir nur durch künstliche Beatmung überlebt. – Herrgott noch mal, Varg! Wir haben zusammen zu spielen angefangen, da waren wir noch Jungs, mit fünfzehn, sechzehn. Und wir kannten uns, seit wir laufen konnten. Später haben wir uns in völlig verschiedene Richtungen entwickelt. Es war verdammt noch mal schon nicht schlecht, daß wir überhaupt so lange zusammengehalten haben.«
    »Wie du das sagst, klingt es wie eine Ehe, die kaputtgeht, nachdem die Kinder erwachsen sind.«
    »Ja? Vielleicht war es auch so … Das Leben ist so. Wir werden geboren, wir wachsen heran. Wir treffen Menschen. Begegnungen, die bedeutsam werden. Dann beginnen die Abschiede. Du beendest die Schule – ein paar fallen aus. Du wirst verlassen – oder verläßt selbst jemanden.«
    »Ich kenn’ das Gefühl.«
    »Du machst eine Ausbildung, triffst neue Menschen. Bekommst einen Job, bekommst andere Jobs – und triffst noch mehr Menschen. Und es bleiben welche auf der Strecke. Sogar die, die dich den größten Teil deines Lebens begleitet haben, bist du vielleicht eines Tages los.«
    »Und da denkst du nicht nur an die Jungs aus der Band?«
    »Nein, Varg. Da denke ich an … ja.«
    Ich wollte etwas sagen, aber er unterbrach mich: »Ich weiß noch, als wir ernsthaft anfingen – das war die große Zeit der Dorffeste, Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre. Die großen Autos erschienen auf den Straßen, die Leute konnten es sich leisten, am Samstagabend auszugehen, sie hatten Geld für Bier und Benzin und eine halbe Flasche Schnaps.«
    Ich nickte.
    »Und die Orte, wo wir spielten. Bergheim und Fjellheim und wie sie alle hießen. Jugendtreffs und Sporthallen, Turnhallen in Schulen. Irgendwie verschwimmt alles zu einem Bild. Es war derselbe Ort, an den wir immer wieder zurückkamen. Der Geruch von Putzmittel und Schweiß. Die trostlosen Garderobenverhältnisse. Der Lärm draußen, bevor eingelassen wurde. Das Klirren von Flaschen, das Tuten der Hupen, hysterisches Gelächter. – Und dann, wenn der Tanz begonnen hatte, die großen, dunklen Kreise, dichtgepackt mit Leuten, bevor sich die ersten Paare auf die Tanzfläche wagten. Die Jungfans, die immer vor der Bühne hingen, als wären sie festgeklebt, mit den großen rosa Kaugummis, die sie immer im Maul hatten. Wenn du auf die Toilette kamst, war da immer jemand, der kotzte, immer jemand, der sein Innerstes nach außen kehrte und einen Nebel von Bier, Schnaps und Magensäure hinterließ. Gegen Ende konntest du genauso sicher sein, daß jemand eine Schlägerei anfing, besonders, wenn es an Mädchen mangelte. Und das gab’s ja oft. Ein paar gingen immer mit uns.«
    »Mit der Band?«
    Er nickte. »Irgendwann kommen sie dir alle wie eine vor, und du hast Schwierigkeiten, sie auseinanderzuhalten. Alle Engagements, alle Jugendtreffs, alle Mädchen. – Meistens waren wir ja auch mehr oder weniger voll. Wir machten es auch nicht immer gerade an den allerromantischsten Orten. Auf einem Schlafsack in einer dunklen Ecke

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