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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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sie etwas anderes findet.« Sie wies mit dem Kopf in die Wohnung hinter sich. »Ich habe noch ein altes Jungmädchenzimmer hinter der Küche. Da hab’ ich übrigens selbst früher mal gewohnt. Aber später wurde die ganze Wohnung frei, und ich bekam die Möglichkeit, sie zu kaufen.«
    »Wo arbeitest du?«
    »Ich bin in der Rentenbehörde. Aber laß uns nicht hier stehenbleiben. Komm lieber rein«, sagte sie, ohne ein Lächeln.
    Von einem kleinen Vorflur aus sah ich durch eine offene Tür in eine blaue Küche. Helga Bøe öffnete eine Tür zur Linken und führte mich ins Wohnzimmer.
    Es war ein ganz gewöhnlich möblierter Raum, ohne besondere Eigenart, abgesehen von der reichhaltigen Auswahl an Büchern und Bücherregalen, zwei großen und einem etwas naivistischen Frauenporträt in Tusche und einem griesgrämigen Gummibaum, der aussah, als habe auch er seine besten Jahre hinter sich. Niedrige Wandleuchten hüllten den Raum in eine künstliche Dämmerung, die das Ganze in eine gemütliche, fauldösige Nachmittagsstimmung tauchte.
    Die Möbel waren praktisch im Stil der 70er Jahre, aus hellem Holz und Stoff, wie auf einer Heimkunstausstellung.
    »Dann nehm, ich an, daß sie dich wohl nicht erwartet?« sagte Helga Bøe.
    »Ja, ich fürchte, es könnte eine sehr große Überraschung für sie werden.«
    »Ich weiß nicht – ob es richtig war, dich reinzulassen.«
    »Sonst hätte ich draußen auf sie gewartet.«
    Sie sah mich feindselig an. »Sie hat es nicht leicht gehabt – wie gesagt.«
    Ich dachte: Ihre Familie auch nicht. Laut sagte ich: »Was macht sie?«
    »Sie hat eine Vertretung an einer Mittelschule.« Sie sah auf die Uhr. »Sie kommt sicher gleich. Entschuldigst du mich einen Moment – ich hab’ eigentlich gerade Essen gemacht. Da liegt was zu lesen.« Sie zeigte auf einen niedrigen Couchtisch aus hellem Holz, drehte sich um und ging hinaus. Aber sie ließ die Tür hinter sich offenstehen.
    Ich warf einen Blick auf das, was es zu lesen gab. Es waren internationale Zeitschriften verschiedener Frauenorganisationen.
    Ich blätterte darin herum. Die Typographie war grob und auf eine Weise maskulin. Die Illustrationen bestanden aus Schwarz-Weiß-Fotos oder aus noch schwarz-weißeren Holzschnitten. Da gab es Reportagen von Krisenzentren, darüber, warum Männer vergewaltigten, über Schwesternsolidarität und Umweltschutz. Ich blätterte und blätterte. Ganz hinten in einer Zeitschrift gab es mehrere Seiten mit Kontaktanzeigen, wo Frauen nach Frauen suchten, und Anzeigen für diverse technische Hilfsmittel, die eine jede männliche Teilnahme am Frauendasein überflüssig machten. Ich fühlte mich allerdings schon ziemlich genauso.
    Dann schloß jemand die Wohnungstür auf. Ich legte die Zeitschrift weg.
    Ich hörte Stimmen von draußen: Helga Bøes Unteroffiziersorgan und eine andere, hellere.
    »Wer?« hörte ich die helle Stimme sagen.
    »Veum … Varg Veum oder so ähnlich«, antwortete Helga Bøe.
    »Varg!«
    Ich stand auf, und sie erschien in der Tür.

23
    »Varg?« flüsterte sie, und hielt dabei den Kopf schräg.
    Ihr Gesicht war voller Überraschung, die Augen groß, und sie strich sich mit einer Hand das Haar aus der Stirn, eine Bewegung, die ich wiedererkannte, von irgendwo am anderen Ende der Jahre, die zwischen uns lagen.
    Sie trat ein paar Schritte in den Raum. Hinter ihr stand Helga Bøe, etwas verdeckt vom Türrahmen, aber anwesend wie eine schwere Wolkendecke und bereit, ein paar schnelle Tritte in die Lendengegend anzubringen, falls es nötig sein sollte.
    »Ja, ich bin’s, Rebecca«, sagte ich und versuchte, meine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen. Ich streckte beide Hände aus.
    Sie kam näher, griff meine Hände und blieb auf eine Armlänge vor mir stehen und betrachtete mich.
    In dem gedämpften Licht schien sie noch genau dieselbe zu sein wie damals mit neunzehn. Ihr Haar fiel noch genauso leicht auf die Schultern, das Gesicht hatte noch dieselben weichen Züge, denselben leicht schmollenden Zug um den Mund, der ihr Lächeln um so schöner machte, wenn sie es hervorkommen ließ.
    Sie trug einen einfachen, apfelsaftfarbenen Popelinmantel und schmale, braune Wildlederstiefel. Der Mantel war offen und darunter konnte ich einen hellbraunen Rock und einen beigen Pullover erkennen.
    Aber als ich sie näher betrachtete, sah ich ein paar schmale Furchen in ihren Augenwinkeln und ein paar kaum erkennbare Falten um die Mundwinkel, die da 1961 nicht gewesen waren. Das dunkelblonde Haar

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