Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
antwortete nicht, zuckte nur mit den Schultern.
    »Anita kenn’ ich ja noch«, fuhr ich fort. »Und die beiden Mädchen – wie hießen die noch gleich?«
    »Ruth und – Sissel«, sagte sie unwillig.
    »Wann ging die Ehe auseinander?«
    »1975.«
    »1975? Im selben Jahr, als die Harpers sich trennten, endgültig?«
    Sie nickte.
    Ich beugte mich vor. »Was hast du gemacht, 1975, Rebecca?«
    »Ich?« Sie strich sich mit der Hand durch das volle Haar. »1975 hatte ich gerade wieder angefangen, ein paar Vorlesungen zu besuchen. Wir bekamen Peter 1972, und bis Grete kam, 1979, versuchte ich, mein Studium abzuschließen.«
    »Weißt du was darüber, was passiert ist?«
    »Mit wem denn? Anita und Johnny? Sie hatten wohl ausgekämpft.«
    »Und mit den Harpers?«
    Sie sah mich müde an. »Das gleiche, denke ich. Sie hatten fast zwanzig Jahre zusammen ausgehalten. Es war an der Zeit, die Instrumente einzupacken.«
    »Aber der Johnny machte weiter?«
    »Ja, das tat er.«
    »Aber du hast ihn also nicht gesehen, dieses Mal?«
    »Nein, Varg«, sagte sie säuerlich. »Ich habe ihn nicht gesehen.«
    Dann änderte sie den Tonfall. »Erzähl mir lieber – was hast du so erlebt, seit damals? Wovon lebst du?«
    »Leben und leben. Es ist fast zu blöd, um es zu sagen.«
    »Ach ja?«
    »Aber, also ich bin eine Art privater – Ermittler.« Schnell fügte ich hinzu: »Aber ich bin ausgebildeter Sozialpädagoge, mit ein paar Jahren Jugendamt auf dem Buckel.«
    »Privater Ermittler? Kann man von so was denn leben?«
    »Solange man ein ruhiges Dasein führt und nicht zu große Kredite abzuzahlen hat – ja, so eben.«
    Sie sah auf meine rechte Hand hinunter. »Familie?«
    »Ich hatte einmal eine. Aber auch das ist vorbei.«
    »Kinder?«
    »Ein Sohn, Thomas. Er ist jetzt fünfzehn Jahre alt. Bald erwachsen.«
    Sie lächelte wehmütig. »Maria ist sechzehn. So lange ist das also alles her. Weißt du noch, Varg – als wir fünfzehn waren oder sechzehn?«
    Ich nickte. »Ich weiß es noch sehr gut. Besser als seit langem, in den letzten Tagen.«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich meine – seit ich Jakob getroffen habe – auch nach so vielen Jahren. Da kam die ganze Zeit so stark zurück, daß ich mich fühle, als taumelte ich in einer Art geistigem Kater durch die Gegend, mit einem Bein in der Vergangenheit und einem im Jetzt.«
    Ich versuchte, mich in ihren Blick hineinzudrängen, aber sie sah weg. »Ich verstehe. Aber all das ist so lange her, Varg, oder?«
    »Doch.«
    Helga Bøe stand plötzlich in der Tür. »Das Essen ist fertig, Rebecca. Aber ich hatte nicht damit gerechnet …«
    Ich hob abwehrend die Hand. »Ich gehe.«
    Helga Bøe lächelte zufrieden und ging wieder zurück in die Küche.
    Rebecca und ich blieben einen Moment sitzen und sahen einander an. Dann beugte sie sich rasch vor und strich mir über die Hand. »Es war nett, dich wiederzusehen, Varg. – Vielleicht … Vielleicht können wir uns ein andermal wiedersehen?«
    Ich nickte. »Ja, gerne. Soll ich mich melden?«
    »Du findest mich hier, am sichersten.«
    Ich suchte eine Visitenkarte hervor. »Und hier findest du mich, wenn du Lust bekommen solltest.«
    Ich stand auf. Sie blieb ein paar Sekunden sitzen und sah zu mir hoch. Dann stand sie auch auf.
    Wir standen da, mit einem halben Meter Abstand, zwei Körper, die einander gleichzeitig anziehen und abstoßen, umgeben von einem Magnetfeld der Erinnerungen. Ich sah auf ihre Lippen und fragte mich, ob sie wohl dasselbe dachte wie ich. Dann riß ich mich vorsichtig los und ging zur Tür. »Wir sehen uns.«
    »Wir sehen uns, Varg«, sagte Rebecca und blieb im Raum hinter mir zurück.
    Helga Bøe empfing mich im Flur und begleitete mich hinaus, wie um ganz sicher zu sein, daß ich ging.

24
    Ich fuhr nach Hause und aß ein mäßiges Mittagessen. Ein wenig später joggte ich eine Runde über den Fjellvei, von Munckebotn bis Bellevuebakken und wieder nach Hause. Nachdem ich geduscht hatte, holte ich das alte Album hervor. Ich blätterte es schnell durch und hielt nur jedesmal inne, wenn ich zu einem Bild kam, auf dem Rebecca zu sehen war. Es waren nicht viele. Das Bild von der Treppe vor unserem Haus war das einzige aus den ersten Jahren. Aus der Zeit auf dem Gymnasium gab es ein paar zufällige Motive von Klassenfahrten, eins aus dem Klassenraum und zum Schluß ein gestelltes Bild, auf dem wir dastehen und aussehen, als seien wir alle reif für Madame Tussaud.
    Sie veränderte sich natürlich auch. Das unbändige Haar von dem

Weitere Kostenlose Bücher