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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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sagte ich abwehrend. »Dies ist ein Freundschaftsdienst, Jakob. – Vielleicht erweist du mir eines Tages dafür auch einen.«
    »Und was sollte das für einer sein?«
    »Du könntest umsonst bei meiner Beerdigung spielen«, sagte ich und lächelte schief. »Also? – Hast du die Adressen im Kopf, oder soll ich selbst versuchen, sie herauszufinden?«
    Er überlegte. »Das Problem ist, daß ich nur die alten Adressen habe, aus den 70er Jahren, als sie auf die Uni gingen.«
    »Sie haben da oben ganz brauchbare Archive. Und außerdem hab’ ich eine Freundin beim Einwohnermeldeamt. Das reicht meistens.«
    »Also okay. Ich werde sie aufschreiben.«
    Er riß ein Blatt aus einem Terminkalender und schrieb drei Namen und drei Adressen auf. »Hier sind sie – so ungefähr. Wenn wir auch da kein Glück haben, dann werd’ ich mein Hirn noch gründlicher anstrengen müssen.« Er lächelte hilflos und gab mir den Zettel.
    Ich betrachtete ihn genauer. Bei zwei der Adressen fehlte die Hausnummer. Bei einem Namen fehlte der Nachname. »Diese Hausnummern – kannst du jedenfalls die Häuser beschreiben, falls du jemals dagewesen bist?«
    »Die da, draußen in Olsvik, das war im ersten Stock in einem kleinen weißen Haus. Das erste, wenn du in die Straße einbiegst. Margrete soundso. – Die beiden anderen sind ja auf Nygårdshøyden. Die da, Helga Bøe, glaube ich – wohnt, kann ich mir vorstellen, immer noch da. Sie kam mir nicht wie eine vor, die heiratet.«
    Ich sah ihn fragend an. »Nein?«
    »Nein.«
    »Fosswinckelsgate … Und da hast du die Nummer.«
    Er nickte.
    »Die andere ist Daniel Hansens gate. Sie bleiben beieinander – und auch nicht weit von deinem Türschild, oder?«
    »Nein. Das ist Unn Helene. Sie hatte auch eine Einzimmerwohnung. Ein schmutziggelbes Haus mit Mauerputzfassade. Ganz oben, unterm Dach. Nicht gerade geräumig.«
    »Wer sind diese Frauen?«
    Er lächelte gequält. »Wenn du jemals in deinem Leben eine 8.-März-Demo gesehen hast, dann hast du sie gesehen. Sie waren wie – lauter eineiige Zwillinge. Nicht auseinanderzuhalten, wie sie da marschierten unter den Parolen, in ausgebeulten Pullovern, dunkelblauen Jeans, die drei Nummern zu groß waren, Windjacken wie Zirkuszelte und geschmückt mit Schals, die sie vom Palästina-Komitee bekommen hatten. Es war ein Bild für die Götter – mit verbundenen Augen.«
    »Und deine Rebecca war auch dabei?«
    »Mmh.«
    »Während du zu Hause saßest und auf die Kinder aufpaßtest?«
    »Mmh.«
    »Und was war mit all den anderen Tagen?«
    »Was meinst du?«
    »All die Freitage und Sonnabende, wenn du unterwegs warst und spieltest mit den Harpers?«
    »Ja?«
    »Da saß sie allein zu Hause – und paßte auf die Kinder auf?«
    »Ja – na und?«
    »Nein, nichts. Ich verstehe nur nicht ganz, weswegen du so sauer bist.«
    »Nein, dann läßt du es eben. Aber wie ging es mit deiner Ehe, Varg? Ging die nicht auch kaputt, buchstäblich, irgendwann in den 70er Jahren?«
    Ich nickte langsam. »In dem Jahrzehnt war es nicht leicht, verheiratet zu sein.«
    »Du sagst es, Varg. Du sagst es.«
    Wir standen da und sahen einander an, während die langen Schatten der 70er Jahre wie Zebrastreifen über unsere Gesichter fielen.
    Dann streckte ich den Zettel mit den drei Namen in die Luft. »Also dann. Ich finde heraus, ob sie hier ist. Dann meld’ ich mich, so oder so. Bist du heute abend zu Hause?«
    Er lächelte blaß. »Passe immer noch auf die Kinder auf.«
    Bevor ich aus der Kirche heraus war, begann die Orgel schon wieder zu dröhnen: ein verzweifelter, disharmonischer Klang, bis er sich plötzlich zusammenriß und mit einem frenetischen Postludium begann. Wenn es nicht ein Requiem war, für die 70er Jahre.

22
    Ich stellte das Auto an einer Parkuhr in der Strommegate ab, bezahlte den Quadratmeterpreis für die nächsten zwei Stunden und schlenderte in die Fosswinckelsgate.
    Die Adresse, die er mir gegeben hatte, gehörte zu einem dreistöckigen Haus, das am Hang zwischen dem 70er Jahre-Bunker der Freimaurerloge und einem Unihochhaus lag, hübsch zurückgezogen mit einem kleinen Gärtchen davor und einem Steinplattenweg in der Mitte.
    Ich ging den Weg hinauf und versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Rechts von der Tür waren drei Klingelknöpfe, mit Namenschild und Lautsprecher. Das mittlere Schild erzählte mir, daß hier, ganz richtig, Helga Bøe wohnte. Aber weder Helga Bøe noch jemand anders war zu Hause. Jedenfalls reagierte niemand auf mein

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